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Patrick Horvath

Die Mafia

Mutmaßlicher organisatorischer Aufbau der Mafia

Nach Aussage des Mafioso Tommaso Buscetta, der 1984 als Kronzeuge aussagte, ist die sizilianische Mafia hierarchisch organisiert. An der Spitze steht nach seiner Aussage eine Art Kommission. "Die Mafia war immer geleitet von einer Kommission, gebildet aus den mächtigsten Familien. (...) Die Kommission hat souveräne Macht über alle illegalen Geschäfte in Palermo. Sie entscheidet über Investitionen und das große Verbrechen, richtet bei Kontroversen zwischen den Mafia-Gruppen und definiert die Grenzen der Territorien." Zu seiner Zeit hätten der Kommission zehn Mitglieder angehört, die aus ihren Reihen einen Chef bestimmt hätten. Vergleichbare Aussagen macht ein anderer Kronzeuge, Salvatore Contorno. Antonio Calderone, ein anderer Kronzeuge, bezeichnete diese Kommission mit dem Namen "cupola" (Kuppel) und gab an, daß sie für die ganze Region Sizilien zuständig ist; unter ihr gibt es weitere ähnliche Gremien für die lokalen Gebiete. Das den Gremien unterstehende "Fußvolk" der Mafia bilden die "soldati", die von kleineren Chefs, den sogenannten "Zehner-Bossen", befehligt werden. Die gemeinsame Organisation großer Mafia-Gruppen darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß es immer wieder blutige Kämpfe zwischen den einzelnen Clans gibt, denen z.B. Ende der 80er Jahre jährlich ca.100-150 Menschen zum Opfer fielen. Die Mafia ist trotz allem keine Einheit, sondern eine Vielzahl und ein Gewirr verschiedenster Clans samt deren Klientel, die wiederum teils miteinander rivalisieren, teils miteinander stärker oder schwächer verflochten sind.

 

Hauptgeschäfte der Mafia

Drogen- und Waffenhandel

Die besten Renditen werfen die illegalen Märkte ab. Folgerichtig betätigen sich die neuen, kapitalistisch orientierten Mafiosi auch im Geschäft mit illegalen Drogen, insbesonders mit Heroin. Das Rauschgiftgeschäft begann in Ansätzen bereits in den 50er Jahren und steigerte seinen Umfang in den 60er und 70er Jahren. Zur Produktion von Heroin wird als zentraler Grundstoffe Morphinbase, gewonnen aus Mohnkapseln, importiert. Hersteller fanden sich bis in die 70er Jahre vorwiegend in der Türkei und im Nahen Osten. Seitdem verlagerte sich der Mohnanbau vorwiegend in asiatische Länder. Dann wird der Grundstoff zu Heroin verarbeitet. Dieses wird dann in Italien verkauft oder in andere Konsumentenländer geschmuggelt. Man schätzt, daß die italienischen Mafiosi Heroin für ca. ein Drittel des Marktes in den USA kontrollieren. Die sizilanische Mafia arbeitet beim USA-Vertrieb auch mit Verbrecherorganisationen aus Kolumbien und Bolivien zusammen.

Waffen- und Drogengeschäfte werden oft im Gegengeschäft abgewickelt. Milizen im Libanon etwa finanzieren ihre Waffenkäufe zumindest teilweise durch Drogen. Die sizilianische Mafia verschiebt Kampfhubschrauber, Handfeuerwaffen, Granaten, Panzer und - besonders bedenklich - nach den Ermittlungen des sizilanischen Untersuchungsrichters Carlo Palermo auch Plutonium.

 

Entführungen

Die sogenannte "Entführungsindustrie" war lange Zeit eine der Haupteinnahmequellen der Mafia. Es wurden Personen, meistens Kinder, entführt - so sollte Lösegeld erpreßt werden. Zwischen 1972 und 1989 wurden in Italien 593 Personen zur Lösegelderpressung entführt. Davon wurden 441 Fälle aufgeklärt. Seit Mitte der 80er gehen die Entführungen stetig zurück. Der Grund liegt in der intensiveren Ermittlung der Behörden und der daraus resultierenden hohen Aufklärungsquote. Man schätzt aber eine große Dunkelziffer, v.a. im Süden Italien, wo es als nicht opportun gilt, sich im Fall einer Entführung an die Behörden zu wenden. Die Anzahl der nicht gemeldeten Entführungen wird möglicherweise auch dadurch erhöht, daß die Erpreßten verpflichtet sind, registrierte und markierte Geldscheine bei der Bezahlung des Lösegelds zu verwenden. Wenn sie dies nicht tun, riskieren sie eine Anklage wegen Begünstigung der Entführer! Meistens sind Opfer der Entführungen Kinder von mittelständischen Unternehmern - nicht unbedingt Sprößlinge extrem reicher Familien, weil diese zu gut geschützt sind.

 

Geldwäscherei

Mit dem Heroingeschäft entstand eine neue kriminelle Zunft: die Geldwäscher, die durch illegalen Kapitalexport und das Verschieben von Profiten aus illegalen Märkten an internationalen Bankplätzen und Börsen die Herkunft der "Narco-Lire" (der Profite aus dem Drogengeschäft), verschleiern.

Einer der Pioniere dieses "Geschäfts" war Michele Sindona aus Messina. Die von ihm aufgekauften und gegründeten Banken hatten vor allem den Zweck, illegale Profite aus dunklen Geschäften "reinzuwaschen", indem sie z.B. in legale Projeke investiert wurden. Sindona kontrollierte die Banca privata italiana in Mailand, die Finabank in Genf und die Franklin-Bank in New York. 1974 brach sein Finanzimperium zusammen und seine Machenschaften kamen ans Licht - jedoch niemals ganz. Denn Giorgio Ambrosoli, der konkursverwalter des Imperiums, fiel 1979 einem Attentat zum Opfer. Vieles ist noch immer unklar. Fest steht aber u.a., daß Sindona mit der Bank des Vatikans IOR zusammengearbeitet hat. Der Leiter der Vatikanbank, Kardinal Marcinkus, blieb aber ungeschoren, weil er vom Territorium des Vatikanstaates nicht ausgeliefert werden konnte. Die IOR ist nach wie vor zum Geldwaschen bestens geeignet, weil sie nicht der italienischen Bankenaufsicht untersteht. Kooperationen zwischen ihr und der Mafia müssen auch weiterhin angenommen werden.

 

Geschäft mit öffentlichen Aufträgen

Auf diesen Aspekt soll im Kapitel "Die Mafia und die Politik" näher eingegangen werden.

 

Gesellschaft und Mafia

Die Mafia hat zweifellos einen starken Rückhalt in manchen Teilen der italienischen Gesellschaft. Das ist teilweise zu erklären durch die wirtschaftliche Not v.a. im Süden Italiens; die Mafia tritt hier oft als großer Arbeitgeber auf. Ferner profitiert die Mafia vom traditionellen System des Patronats. Es handelt sich dabei um ein weitverbreitetes System sozialer Organisation. Um einen mächtigen Mann, den Patron scharen sich zahlreiche Klienten, die von ihm Schutz und Hilfe (von wirtschaftlicher Unterstützung bis zur Protektion) erwarten. Dafür leisten sie ihm gewisse Dienste. Der soziale Rang eines Patrons ermißt sich wiederum aus der Anzahl seiner Klienten. Weniger mächtige Patrone sind oft auch Klienten von mächtigeren. So entsteht ein verschachteltes System gegenseitiger Abhängigkeiten und Einflüssen. Dieses System muß nicht unbedingt mit der Mafia zu tun haben, aber viele der Patrone sind Mitglied einer mafiosen Vereinigung.

Eine wichtige Rolle spielen in Italien bis heute auch Freunde und Familie, deren Zusammenhalt sehr stark ist. Die familiären Strukturen sind oftmals die Basis mafioser Gruppen, wobei ein weiter Begriff von Familie herrscht.

Die Mafia verfügt ebenfalls über einen von weiten Teilen der Gesellschaft akzeptierten Ehrenkodex. Eine große Rolle spielt dabei die "Omertà" - im landläufigen Sprachgebrauch bedeutet dies Verschwiegenheit - vor allem gegenüber Fremden und staatlichen Behörden. Dieser Ehrenkodex ist aus dem traditionellen Mißtrauen der Sizilaner gegenüber der Obrigkeit gewachsen, welches wiederum aus der langen Fremdherrschaft zu erklären ist und heute aus purer Trägheit fortgeführt wird.

Auch die Verhaltensregeln auf dem Gebiet der Familie, Ehe und Sexualität sind sehr streng. Ein Mafioso darf der Frau eines anderen Mafioso nicht nachstellen; ferner muß er ein Auge auf seine Familie haben und Unmoralisches verhindern. Er muß vor allem die Moralität seiner Frau schützen, um nicht in den wenig ehrenvollen Stand eines "Gehörnten" zu geraten. Buscetta berichtete, er sei aus der Mafia ausgeschlossen worden, weil er geschieden war. Contorno (ein anderer geständiger Mafiso) erzählte von einem Freund, den man aus der Mafia ausgeschlossen hatte, weil seine Frau unkeusch lebte. Daß viele Mafia-Bosse Geliebte haben, stört allerdings kaum. Wichtig ist, daß ihre Ehefrau treu ist und die Ehe hält und funktioniert. Ein Mann muß ferner seine Frau in jeder Weise beschützen.

Es ist durchaus möglich, daß die Präsenz der Mafiosi und ihrer "Moral" ein Grund für die deutlich geringere Belästigung der Frauen in Sizilien ist - schließlich weiß man nie genau, wem das Opfer "gehört".

Anfang der 80er wurde z.B. ein Mann auf offener Straße ermordet, weil er nach Aussage des Kronzeugen Vinzenzo Sinagra "ein Playboy war und Frauen belästigt hatte, die er nicht belästigen durfte. Sie schossen von einer Vespa auf ihn ein." So kann es in Sizilien einem gar zu dreisten Mann ergehen.

Auch ein Fremdenführer aus Catania hatte Pech. Sein Bruder, ein Fahrlehrer, hatte sich von der Frau eines Mafia-Bosses in der letzten Stunde als Belohnung für seine Geduld einen Kuß erbeten. Bald kamen Rächer, die ihm in die Beine schießen wollten. Stattdessen verfehlten sie das Ziel und töteten den Bruder des Unverschämten.

Ein Bäcker aus Palermo, der sich allzugut mit der Schwägerin eines Mafioso verstand, verschwand spurlos. Ein anderer Frauenheld hatte nach der Aussage des geständigen Mafioso Stefano Calzetta kaum mehr Glück:

"Auf Anordnung Lorenzo Tinnirellos (...) haben wir den Busfahrer mit Stöcken blutig geschlagen, der sich (...) schlecht gegenüber Frauen aufgeführt hatte. Ich, ignazio, Fazio und Tepesta stiegen in den Bus, und während ich die Passagiere mit einer Pistole in Schach hielt, hieben Tempesta und Ignazio auf den Fahrer ein." Wozu da noch Gerichtsverfahren wegen sexueller Belästigung?

Der Ehrenkodex der Mafia ist in weiten Teilen Siziliens und Süditalien akzeptiert. Es gibt eine ganze Menge von Leuten, die nicht bei der Mafia sind und eine ähnliche Moral vertreten. Dies hat eine starke Verankerung und Akzeptanz der Mafia in manchen Teilen der italienischen Gesellschaft zur Folge.

 

Die Mafia und die Politik

Motive für die Einmischung in die Politik

Die Mafia mischt sich immer wieder in die Politik ein. Politischer Einfluß bringt Vorteile für die Organisation und bietet Möglichkeiten der Machtausübung und Bereicherung. Hauptmotiv für politische Einflußnahme ist auch der Wunsch, die Gelder der Agensud (Agentur zur Förderung der Entwicklung des Mezzogiornos) bzw. Cassa (ältere und geläufigere Bezeichnung) zu kontrollieren.

Die Cassa verteilt Förderungsgelder an den ärmeren und wirtschaftlich rückständigeren Süden Italiens; die Wirtschaft des Südens ist von diesen Zahlungen fast völlig abhängig. Die Mafia versucht nun, diese Gelder in die von ihr kontrollierten Firmen zu leiten oder der eigenen Klientel zuzuführen. Entsprechend hat sie ein Interesse daran, die maßgeblichen Stellen mit "ihren" Leuten zu besetzen.

In neuerer Zeit bereichert sich die Mafia auch an den Förderungen der Europäischen Union bzw. ihren Vorläufern; z.B. wurde 1981 der EG-Argrarfonds von der Mafia nahestehenden Kreisen durch manipulierte Gutachten und zu Unrecht ergangene Genehmigungen um ca. 65 Mio. DM betrogen. Solche Fälle fliegen nur ganz selten auf.

 

Die politische Macht der Mafia

Bei der Einflußnahme auf die Politik benutzt die Mafia u.a. folgende Mittel:

Steuerung der Wählerstimmen

Kein italienischer Politiker kann es sich leisten, die lokalen Mafiaklientele zu ignorieren. Das Klientel der Mafia macht mit Familien- und Freundeskreis in vielen kleineren Gemeinden bis zu 30% des Stimmenpotentials aus, in manchen größeren etwa 10-15%. In ganz Sizilien könne die Mafia, so berichten Kronzeugen, ca. 300.000 Stimmen steuern, was rund 8% der sizilianischen Wahlbevölkerung entspricht. Diese Stimmen können wahlentscheidend sein; um über diese Stimmen verfügen zu können, muß ein Politiker auf die Interessen der Lobby Mafia Rücksicht nehmen. Zwischen Mafia und der Demokratie hat sich mittlerweile eine Synthese herausgebildet; die Mafia ist schon allein aus diesem Grund interessiert an der Erhaltung eines demokratischen Systems, in dem ihr durch die Wahlen eine mächtige Waffe in die Hand gegeben wird. Entsprechend ist die Mafia auch an einem gewaltsamen Umsturz wenig interessiert.

Gewalt

Um Politiker nach ihrem Willen zu steuern, kann es vorkommen, daß Gewalt aller Art (Ermordung, Entführung der Kinder etc.) angedroht wird. Gewalttaten werden auch ausgeführt, um unbequeme Politiker zu beseitigen.

Der Fall "Gentile"

Vincenzo Gentile amtierte elf Jahre (1970-1981) als Bürgermeister einer kleinen Gemeinde in Calabrien. Da plötzlich viel Geld aus der Cassa in die Gemeinde floß, damit ein Hafen und ein Stahlwerk zu errichtet werden konnte, favorisierte der größte Mafiaclan auf dem Gebiet, die Familie Piromalli, einen ihrer Strohmänner, Antonino Pedà für das Amt des Bürgermeisters. Dieser lag in der Wählergunst aber weit abgeschlagen. Bald explodierte eine Bombe vor Gentiles Haus und Schüsse fielen, der Anschlag mißlang aber. Darum wählte die Mafia einen anderen Weg: Sie machte mit Bombenterror die Stadträte gefügig, die Gentile dann abwählten. Dieser kandidierte aber auf einer eignen Liste und gewann. An diesem entschlossenen und unbestechlichen Politiker ist die Mafia zwar gescheitert, aber meistens ist diese Taktik erfolgreich; und dann fliegt der Fall meist nicht auf.

Der Fall "Mattarella"

Am 6.1.1980 wurde der amtierende Präsident der Region Sizilien, Piersanti Mattarella, erschossen. "Seine Aktion der Moralisierung im Innern der Region Sizilien berührte mafiose Interessen", so die parlamentarische Antimafia-Kommission.

Mattarella stellte sich gegen Aufträge über den Bau von sechs Schulgebäuden, die von sechs verschiedenen Firmen ausgeführt werden sollten. Aber alle Firmen gehörten Strohmännern kooperierender Mafiaklientele. Als Mattarella den zuständigen Bürgermeister Palermos, Mantione, aufforderte, die Gelder für diesen Auftrag zu blockieren, trat dieser zurück. Es folgte ein anderer Bürgermeister und eine amtliche Untersuchung über die Modalität der Auftragsvergabe. Dann wurde Mattarella erschossen; kurz darauf trat der mit der Kontrolle der Auftragsvergabe betraute Inspektor ohne ersichtlichen äußeren Grund zurück. Die Mafia hatte wahrscheinlich wieder ihre Hände im Spiel.

 

Die Mafia und politische Parteien

Kurz nach dem 2.Weltkrieg unterstützte die Mafia hauptsächlich die sizilianische Separatistenbewegung; Mafiosi stellten sogar den bewaffneten Teil dieser Partei. 1948 wandte sich die Mafia jedoch zunehmend von den Separatisten ab und wandte sich den Monarchisten zu; dieses Spektrum wurde dann in die Democrazia Cristiana (DC) integriert. Diese konnte auch zur entscheidenden politischen Kraft in Italien aufsteigen. Schon bald wurden Anführer der Linksparteien ermordet - oder auch DC-Mitglieder, die sich nicht auf Parteilinie befanden. Heute, nach der Zerschlagung der DC fällt es der Mafia zunehmend schwerer, im politischen Leben Einfluß zu nehmen.

 

Literatur

Diego Gambetta: Die Firma der Paten. Die sizilianische Mafia und ihre Geschäftspraktiken. München 1994.

Peter Müller: Die Mafia in der Politik. München 1990.

Claire Sterling: Die Mafia. Der Griff nach der Macht. Bern u.a. (2.Auflage) 1990.



Patrick Horvath: "Über Philosophie und Politik"

Patrick Horvath: "Das Patronat im alten Rom"

Kontaktaufnahme mit dem Autor: horvath@medicalnet.at


© 1999 Patrick Horvath, Universität Wien.


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