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Krieg
gegen Afghanistan
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Der Krieg in Afghanistan wurde lange vor dem 11. September
geplant
Von Patrick Martin 22. November 2001 aus dem Englischen (20.
November 2001)
Aus Insiderberichten, die in britischen, französischen und indischen
Medien erschienen, geht hervor, dass Vertreter der amerikanischen
Regierung Afghanistan bereits im Sommer dieses Jahres einen Krieg
angedroht haben. In diesem Rahmen, so die Berichte, sei bereits im Juli
angekündigt worden, dass "die Militäraktion gegebenenfalls vor dem ersten
Schnee in Afghanistan, spätestens Mitte Oktober stattfinden werde".
Tatsächlich begann die Bush-Regierung am 7. Oktober mit der Bombardierung
des bedauernswerten verarmten Landes. Die Bodenangriffe der
Sondereinsatztruppen der USA begannen am 19. Oktober.
Es ist kein Zufall, dass diese Enthüllungen nicht in den USA
veröffentlicht wurden, denn die herrschenden Klassen der anderen Länder
verfolgen eigene wirtschaftliche und politische Interessen. Diese decken
sich nicht mit dem Bestreben der amerikanischen herrschenden Elite, das
ölreiche Gebiet in Zentralasien unter ihre Kontrolle zu bringen, und
stehen ihm bisweilen sogar direkt entgegen.
Die amerikanischen Medien haben die eigentlichen wirtschaftlichen und
strategischen Interessen hinter dem Krieg gegen Afghanistan gezielt
verschleiert, um den Anschein zu wahren, als ob der ganze Krieg quasi über
Nacht als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September entstanden
sei.
Die Kommentatoren der amerikanischen Fernsehsender und großen
Tageszeitungen feiern den schnellen militärischen Sieg über das
Talibanregime als unerwarteten Glücksfall. Sie lenken die Aufmerksamkeit
der Öffentlichkeit von der offenkundigen Schlussfolgerung ab, die jeder
ernsthafte Beobachter aus den Ereignissen der vergangenen zwei Wochen
ziehen muss: Der rasche Sieg der von den USA unterstützten Verbände lässt
auf eine sorgfältige Planung und Vorbereitung von Seiten des
amerikanischen Militärs schließen, die bereits lange vor den Anschlägen
auf das World Trade Center und das Pentagon eingesetzt haben muss.
Der offizielle amerikanische Mythos besagt, dass nach der Entführung
von vier Passagierflugzeugen und der Ermordung von nahezu 5000 Menschen
"nichts mehr wie vorher" gewesen sei. Die militärische Intervention der
USA in Afghanistan wurde nach dieser Lesart in weniger als einem Monat
hastig improvisiert. Der stellvertretende Verteidigungsminister Paul
Wolfowitz behauptete in einem Fernsehinterview vom 18. November sogar,
dass die Planung des Militärangriffs nur drei Wochen beansprucht habe.
Dies ist nur eine der zahllosen Lügen des Pentagon und des Weißen
Hauses über den Krieg gegen Afghanistan. In Wirklichkeit war die
US-Intervention lange vor den Terroranschlägen, die den Vorwand zu ihrer
praktischen Umsetzung lieferten, in allen Einzelheiten geplant und
vorbereitet worden. Wenn die Geschichte den 11. September übersprungen
hätte und es nie zu den Ereignissen jenes Tages gekommen wäre, dann hätten
die USA aller Wahrscheinlichkeit nach trotzdem in Afghanistan einen Krieg
begonnen, und zwar weitgehend nach demselben Zeitplan.
Afghanistan und die Jagd nach Öl
Die herrschende Elite in den USA hat seit mindestens zehn Jahren einen
Krieg in Zentralasien in Erwägung gezogen. Bereits im Jahr 1991, nach der
Niederlage des Irak im Golfkrieg, veröffentlichte das amerikanische
Nachrichtenmagazin "Newsweek" einen Artikel unter der Überschrift:
"Operation Steppenschild?" Darin wurde berichtet, dass das amerikanische
Militär eine Unternehmung in Kasachstan vorbereite, die sich am Modell der
"Operation Wüstenschild" in Saudi Arabien, Kuwait und Irak orientiere.
Die Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 eröffnete die Möglichkeit
zur Ausdehnung des amerikanischen Einflusses nach Zentralasien, die
Entdeckung riesiger Öl- und Gasreserven lieferte den Anreiz dazu. Zwar war
die aserbaidschanische Küste des Kaspischen Meeres (Baku) bereits seit
hundert Jahren ein Zentrum der Ölförderung gewesen, doch die riesigen
neuen Reserven im Nordwesten (Kasachstan) und im Umfeld des Südwestens
(Turkmenistan) des Kaspischen Beckens wurden erst während der vergangenen
zehn Jahre entdeckt.
Die amerikanischen Ölgesellschaften haben sich die Rechte an nicht
weniger als 75 Prozent der zu erwartenden Förderung aus diesen neuen
Feldern gesichert, und US-Regierungsbeamte verweisen hoffnungsvoll auf das
Kaspische Becken und Zentralasien als mögliche Alternative zur
Abhängigkeit von den Ölvorkommen in der instabilen Region am Persischen
Golf. Den Verträgen über Förderrechte folgte amerikanisches Militär. Im
Jahr 1997 nahmen Sondereinsatztruppen der USA gemeinsame Manöver mit der
Armee Kasachstans auf. Entsprechende Manöver mit Usbekistan begannen ein
Jahr später. Trainiert wurden insbesondere Interventionen im gebirgigen
Süden, wo sich Kirgisien, Tadschikistan und der Norden Afghanistans
befinden.
Das Hauptproblem bei der Ausbeutung der Energieressourcen Zentralasiens
besteht darin, das Öl und Gas aus dieser Region, die über keinen Zugang zu
den Weltmeeren verfügt, auf den Weltmarkt zu bringen. Die amerikanische
Regierung wollte dazu weder das russische Pipelinenetz benutzen noch den
einfachsten Landweg, der quer durch den Iran zum Persischen Golf führen
würde. Stattdessen erkundeten die Ölkonzerne und die Regierung der USA im
Verlauf der letzten zehn Jahre eine Reihe alternativer Pipelinerouten - in
westlicher Richtung durch Aserbaidschan, Georgien und die Türkei ans
Mittelmeer, in östlicher Richtung durch Kasachstan und China zum Pazifik
und, was hinsichtlich der gegenwärtigen Krise besonders bedeutsam ist, in
südlicher Richtung durch Turkmenistan, Westafghanistan und Pakistan zum
Indischen Ozean.
Der in den USA ansässige Ölkonzern Unocal setzte sich für einen
Pipelineverlauf durch Afghanistan ein und führte intensive Verhandlungen
mit dem Talibanregime. Als sich infolge der Bombenanschläge auf die
US-Botschaften in Kenia und Tansania, für die Osama bin Laden
verantwortlich gemacht wurde, die Beziehungen zwischen den USA und
Afghanistan verschlechterten, wurden diese Gespräche jedoch ergebnislos
abgebrochen. Im August 1998 griff die Clinton-Regierung angebliche
Ausbildungslager bin Ladens im Osten Afghanistans mit Marschflugkörpern
an. Die US-Regierung forderte von den Taliban die Auslieferung bin Ladens
und verhängte Wirtschaftssanktionen gegen das Land. Die Verhandlungen über
Pipelines schleppten sich hin.
Versuche, die Taliban zu stürzen
Im Verlauf des Jahres 1999 erhöhten die USA kontinuierlich den Druck
auf Afghanistan. Am 3. Februar jenes Jahres trafen sich der
stellvertretende Außenminister, Karl E. Inderfurth, und der Leiter der
Abteilung Terrorismusbekämpfung im Außenministerium, Michael Sheehan, in
der pakistanische Hauptstadt Islamabad mit dem stellvertretenden
Außenminister der Taliban, Abdul Jalil. Sie warnten ihn, dass die USA die
Regierung Afghanistans für jegliche weitere Terroranschläge bin Ladens zur
Rechenschaft ziehen würden.
Aus einem Bericht der "Washington Post" (3. Oktober 2001) geht hervor,
dass die Clinton-Regierung und Nawaz Sharin, der damalige Präsident
Pakistans, im Jahr 1999 eine gemeinsame Geheimoperation vereinbarten, um
Osama bin Laden zu töten. Die USA sollten per Satellit gewonnene
geheimdienstliche Erkenntnisse, Luftunterstützung und Geld beisteuern,
während Pakistan der paschtunischen Sprache mächtige Agenten zur Verfügung
stellen sollte, die in Südpakistan einsickern und den Mord ausführen
würden.
Im Oktober 1999 war das pakistanische Kommando einsatzbereit, so die
"Washington Post". Ein ehemaliger Regierungsbeamter hatte ihr gegenüber
erklärt: "Das Unternehmen lief." Clintons Mitarbeiter berauschten sich an
der Aussicht auf einen erfolgversprechenden Mordanschlag. "Es war wie
Weihnachten", sagte einer.
Doch am 12. Oktober 1999 wurde Sharif durch einen Militärputsch von
General Pervez Musharraf gestürzt. Die neue Regierung blies die geplante
Geheimoperation ab. Die Clinton-Regierung musste sich mit einer Resolution
des UN-Sicherheitsrates begnügen, die lediglich die Überstellung bin
Ladens an "die zuständigen Behörden", nicht aber seine Auslieferung an die
Vereinigten Staaten verlangte.
McFarlane und Abdul Haq
Im Jahr 2000 setzten die USA ihre gegen die Taliban gerichteten
Umsturzversuche fort. Dies geht aus einem Bericht hervor, den die große
amerikanische Tageszeitung "Wall Street Journal" am 2. November
veröffentlichte. Er stammt von Robert McFarlane, dem ehemaligen nationalen
Sicherheitsberater der Reagan-Regierung. Zwei reiche Spekulanten aus
Chicago, Joseph und James Ritchie, hatten McFarlane angeheuert; er sollte
ihnen helfen, unter den afghanischen Flüchtlingen in Pakistan
Guerillakämpfer gegen die Taliban anzuwerben und zu organisieren. Ihr
wichtigster afghanischer Verbindungsmann war Abdul Haq, der ehemalige
Führer der Mudschaheddin, der im vergangenen Monat von den Taliban
hingerichtet wurde, nachdem er erfolglos versucht hatte, in seiner
Heimatprovinz einen Aufstand auszulösen.
McFarlane traf sich im Herbst und Winter des Jahres 2000 mehrmals mit
Abdul Haq und anderen ehemaligen Mudschaheddin. Nach dem Amtsantritt der
Bush-Regierung veranlasste McFarlane die Mitglieder der Republikanischen
Partei, zu denen er Beziehungen pflegte, zu einer Reihe von
Zusammenkünften mit Beamten des Außenministeriums, des Pentagons und sogar
des Weißen Hauses. Alle unterstützten sie die Vorbereitung einer
Militäraktion gegen die Taliban.
Während des Sommers, lange vor den Luftschlägen der USA, reiste James
Ritchie mit Abdul Haq und Peter Tomsen nach Tadschikistan. Tomsen war
während der Regierungszeit von Bush senior amerikanischer Sondergesandter
für die afghanische Opposition gewesen. In Tadschikistan traf sich die
Gruppe mit Ahmed Schah Massud, dem Führer der Nordallianz. Da letztere als
einzige militärische Kraft den Taliban nach wie vor Widerstand leistete,
sollten die kommenden, von Pakistan aus erfolgenden Angriffe mit ihr
abstimmt werden.
Schließlich, so McFarlanes Darstellung, beschloss Abdul Haq "Mitte
August, mit den Operationen in Afghanistan zu beginnen. Er kehrte in die
pakistanische Stadt Peschawar zurück, um letzte Vorbereitungen zu
treffen." Mit anderen Worten, diese Phase des Kriegs gegen Afghanistan war
lange vor dem 11. September bereits in vollem Gange.
Die amerikanischen Medien stellen es so dar, als ob die Ritchies auf
eigene Faust handelten, weil sie sich emotional mit Afghanistan verbunden
fühlten. In den fünfziger Jahren hatten sie, weil ihr Vater als
Bauingenieur dort tätig war, für kurze Zeit in Afghanistan gelebt.
Zumindest ein Artikel vermutete allerdings doch einen Zusammenhang
zwischen ihrem Engagement und den Gesprächen über Ölpipelines, die damals
mit den Taliban geführt wurden. Im Jahr 1998 reiste James Ritchie nach
Afghanistan, um mit den Taliban über die Förderung dort angesiedelter
Kleinunternehmen zu verhandeln. In seiner Begleitung befand sich ein
offizieller Vertreter des saudi-arabischen Ölkonzerns Delta Oil, der
gemeinsam mit einer argentinischen Firma eine Gasleitung durch Afghanistan
legen wollte.
Ein geheimer Krieg der CIA
McFarlane enthüllt diese Zusammenhänge im Rahmen heftiger Vorwürfe an
die Adresse des amerikanischen Auslandsgeheimdienstes CIA. Dieser habe
Abdul Haq "verraten", weil er seine Operationen in Afghanistan nicht
unterstützte und ihn den Taliban in die Hände fallen ließ, die ihn
umbrachten. Offenbar hielt die CIA sowohl McFarlane als auch Abdul Haq für
äußerst unzuverlässig und führte unabhängig von diesen einen eigenen
geheimen Krieg in der Südhälfte Afghanistans, wo die Mehrheit der
Bevölkerung die paschtunische Sprache spricht.
Die "Washington Post" berichtete am 18. November auf ihrer Titelseite,
dass die CIA bereits seit 1997 paramilitärische Operationen im Süden
Afghanistans durchführe. Als Verfasser zeichnet Bob Woodward, ein durch
die Watergate-Affäre berühmt gewordener Journalist der "Post", der häufig
Informationen veröffentlicht, die aus den Führungsspitzen von Militär und
Geheimdiensten durchgesickert sind.
Woodward nennt Einzelheiten über die Rolle der CIA in der gegenwärtigen
militärischen Auseinandersetzung, in der auch eine paramilitärische
Geheimabteilung, die Special Activities Division, eingesetzt wurde. Die
Kampfhandlungen ihrer Einheiten begannen am 27. September. Sowohl
Bodentruppen als auch mit Raketen bestückte ferngesteuerte
Überwachungsflugzeuge kamen zum Einsatz.
Die Special Activities Division, berichtet Woodward, "ist aus Teams
zusammengesetzt, die jeweils etwa ein halbes Dutzend Männer umfassen. Sie
tragen keine Militäruniform. Die Abteilung verfügt über rund 150 Kämpfer,
Piloten und Spezialisten. Sie besteht aus bewährten pensionierten
Veteranen des US-Militärs.
Seit 18 Monaten arbeitet die CIA mit Stammensführern und Warlords im
südlichen Afghanistan zusammen. Die Einheiten der Special Activities
Division beteiligten sich am Aufbau eines umfassenden neuen Netzwerks in
dieser Region, die das wichtigste Einflussgebiet der Taliban
darstellt."
Die Spionageagentur der USA führte also seit dem Frühjahr 2000 Angriffe
auf das afghanische Regime - ein Verhalten, das die amerikanische
Regierung unter anderen Voraussetzungen als Terrorismus bezeichnen würde.
Diese Angriffe gingen den Anschlägen, die das World Trade Center zum
Einsturz brachten und das Pentagon beschädigten, demnach um mehr als ein
Jahr voraus.
Die Kriegspläne nehmen Gestalt an
Nach der Amtseinführung von George Bush im Weißen Haus verlagerte sich
der Schwerpunkt der amerikanischen Politik in Afghanistan. Es ging nicht
länger um einen beschränkten Eingriff, mit dem bin Laden getötet oder
gefangen genommen werden sollte, sondern um die Vorbereitung einer
handfesten Militärintervention gegen das Talibanregime als Ganzes.
Die in Großbritannien erscheinende militärstrategische Fachzeitschrift
"Jane's International Security" berichtete am 15. März 2001, dass die neue
amerikanische Regierung gemeinsam mit Indien, Iran und Russland "eine
gemeinsame Front gegen das Talibanregime in Afghanistan" aufbaue. Indien
stelle der Nordallianz militärisches Gerät, Berater und
Hubschraubertechniker zur Verfügung, und sowohl Indien als auch Russland
benutzten Stützpunkte in Tadschikistan und Usbekistan für ihre
Operationen.
Die Zeitschrift ergänzte: "Mehrere Sitzungen der gemeinsamen
Arbeitsgruppen zu Fragen des Terrorismus, die zwischen Indien und den USA
sowie zwischen Indien und Russland gebildet wurden, gingen dieser
taktischen und logistischen Gegenoffensive gegen die Taliban voraus. Aus
Geheimdienstkreisen in Delhi verlautet, dass Indien, Russland und der Iran
den Kampf gegen die Taliban am Boden führen, während Washington der
Nordallianz Informationen und logistische Unterstützung zur Verfügung
stellt."
Am 23. Mai gab das Weiße Haus bekannt, dass Zalmay Khalilzad zum
Nationalen Sicherheitsberater ernannt worden sei. Er solle dem Präsidenten
als besonderer Berater und verantwortlicher Leiter für die Themenbereiche
Persischer Golf, Südwestasien und sonstige regionale Fragen dienen.
Khalilzad hatte bereits unter den Präsidenten Reagan und Bush senior
Regierungsfunktionen bekleidet. Nach seinem Ausscheiden aus diesen Ämtern
hatte er eine Stellung bei Unocal angetreten.
Am 26. Juni dieses Jahres brachte die Zeitschrift "IndiaReacts" weitere
Einzelheiten über das gemeinsame Vorgehen der USA, Indiens, Russlands und
des Iran gegen das Talibanregime. "Indien und Iran werden den USA und
Russland bei einem ‚beschränkten Militärschlag' gegen die Taliban
‚beistehen', wenn die angestrebten harten neuen Wirtschaftssanktionen das
fundamentalistische Regime in Afghanistan nicht in die Knie zwingen",
schrieb sie.
In diesem Stadium der militärischen Planungen war vorgesehen, dass die
USA und Russland der Nordallianz über Usbekistan und Tadschikistan direkte
militärische Unterstützung leisten würden, um die Talibanfront in Richtung
der Stadt Mazar-e-Sharif zurückzudrängen. Dieses Szenario erinnert
natürlich auffallend an die Ereignisse der vergangenen zwei Wochen. Ein
ungenanntes drittes Land belieferte die Nordallianz mit
Panzerabwehrraketen, die bereits Anfang Juni gegen die Taliban eingesetzt
wurden.
"Aussagen von Diplomaten zufolge erfolgte das Vorgehen gegen die
Taliban nach einer Zusammenkunft des amerikanischen Außenministers Colin
Powell mit dem russischen Außenminister Igor Iwanow sowie nach einem
späteren Treffen Powells mit dem indischen Außenminister Jaswant Sing in
Washington", ergänzte die Zeitschrift. "Auch Russland, Iran und Indien
haben eine Reihe von Gesprächen geführt, und man rechnet mit weiteren
diplomatischen Aktivitäten."
Im Gegensatz zu dem heutigen militärischen Vorgehen sollten dem
ursprünglichen Plan zufolge Truppen aus Usbekistan und Tadschikistan sowie
aus Russland selbst eingesetzt werden. Laut den Berichten von
"IndiaReacts" erklärte der russische Präsident Wladimir Putin Anfang Juni
auf einer Versammlung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, der viele der
ehemaligen Sowjetrepubliken angehören, dass ein Militärschlag gegen die
Taliban bevorstehe. Die Ereignisse vom 11. September schufen die
Voraussetzungen für eine unabhängige Intervention der Vereinigten Staaten
selbst, an der sich die Truppen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion nicht
direkt beteiligten. Infolgedessen kann nun Amerika unangefochten Anspruch
darauf erheben, die künftige Ordnung Afghanistans zu diktieren.
Die USA drohen mit Krieg - vor dem 11. September
Unmittelbar nach den Terroranschlägen auf das World Trade Center und
das Pentagon erschienen in den britischen Medien zwei Berichte, aus denen
hervorging, dass die amerikanische Regierung schon mehrere Monate vor dem
11. September militärische Maßnahmen gegen Afghanistan angedroht
hatte.
Der BBC-Reporter George Arney berichtete am 18. September, dass
amerikanische Regierungsbeamte den ehemaligen pakistanischen Außenminister
Niaz Naik Mitte Juli über Pläne für einen Militärschlag gegen das
Talibanregime unterrichtet hätten:
"Mr. Naik zufolge unterrichteten ihn US-Beamte über den Plan einer
internationalen Kontaktgruppe, die sich unter der Schirmherrschaft der UN
in Berlin getroffen hatte.
Wie Mr. Naik gegenüber der BBC berichtete, kündigten ihm die Vertreter
der USA auf diesem Treffen an, dass Amerika militärische Mittel einsetzen
würde, um sowohl bin Laden als auch den Talibanführer Mullah Omar zu töten
oder gefangen zu nehmen, falls bin Laden nicht kurzfristig ausgeliefert
würde.
Ihr Gesamtziel bestand nach Angaben von Mr. Naik darin, das
Talibanregime zu stürzen und durch eine gemäßigte Übergangsregierung zu
ersetzen, die eventuell von dem ehemaligen König Zahir Schah geführt
werden könnte.
Man setzte Mr. Naik davon in Kenntnis, dass Washington seine
Operationen von Stützpunkten in Tadschikistan aus unternehmen werde.
Amerikanische Berater seien bereits vor Ort.
Man sagte ihm, dass auch Usbekistan an der Operation teilnehmen werde
und dass 17.000 russische Soldaten einsatzbereit seien.
Weiter erfuhr Mr. Naik, dass die Militäraktion gegebenenfalls vor dem
ersten Schnee in Afghanistan, spätestens Mitte Oktober stattfinden
werde."
Vier Tage später, am 22. September, bestätigte die große britische
Zeitung "Guardian" diese Darstellung. Die Warnungen an Afghanistan
erfolgten Mitte Juli im Rahmen einer viertägigen Zusammenkunft
hochrangiger Vertreter der amerikanischen, russischen, iranischen und
pakistanischen Regierung in einem Berliner Hotel. Es war das dritte
Treffen im Rahmen einer Reihe inoffizieller Konferenzen, die unter der
Bezeichnung "Brainstorming über Afghanistan" liefen.
Die Teilnehmer waren Naik nebst drei pakistanischen Generälen, der
ehemalige iranische Botschafter bei den Vereinten Nationen Sayid Rajai
Khorassani, der Außenminister der Nordallianz Abdullah Abdullah, der
ehemalige russische Sondergesandte für Afghanistan Nikolai Kosyrew und
mehrere weitere Vertreter Russlands, sowie drei Amerikaner: der ehemalige
US-Botschafter in Pakistan Tom Simons, der ehemalige stellvertretende
Außenminister für südasiatische Angelegenheiten Karl Inderfurth und Lee
Coldren, der bis 1997 die für Pakistan, Afghanistan und Bangladesch
zuständige Abteilung des Außenministeriums geleitet hatte.
Francesc Vendrell, der damalige und heutige UN-Beauftragte für
Afghanistan, hatte das Treffen einberufen. Offiziell sollte die Konferenz
über mögliche Formen einer politischen Lösung für Afghanistan verhandeln,
doch die Taliban weigerten sich daran teilzunehmen. Die Amerikaner
erläuterten, wie sich ihre Afghanistan-Politik mit dem Wechsel von Clinton
zu Bush verändern werde, und ließen unmissverständlich durchblicken, dass
auch ein militärisches Vorgehen erwogen werde.
Die drei ehemaligen Angehörigen der amerikanischen Regierung bestritten
zwar ausnahmslos, dass sie irgendwelche erkennbaren Drohungen geäußert
hätten, doch Coldren erklärte gegenüber dem "Guardian": "Man sprach
darüber, dass der Unmut der Vereinigten Staaten über Afghanistan so groß
war, dass sie ein militärisches Vorgehen in Erwägung ziehen könnten." Naik
führte seinerseits die Aussage eines Amerikaners an, wonach ein Vorgehen
gegen bin Laden unmittelbar bevorstehe: "Diesmal waren sie ganz sicher.
Sie verfügten über zahlreiche geheimdienstliche Erkenntnisse und waren
sicher, dass sie ihn nicht verfehlen würden. Es sollte eine Aktion aus der
Luft geben, vielleicht mit Kampfhubschraubern. Sie sollte nicht nur offen,
sondern auch aus nächster Nähe zu Afghanistan erfolgen."
Der "Guardian" fasste zusammen: "Die Kriegsdrohungen für den Fall, dass
die Taliban Osama bin Laden nicht auslieferten, wurden dem Regime in
Afghanistan durch die pakistanische Regierung übermittelt, wie gestern aus
hochrangigen diplomatischen Quellen zu erfahren war. Die Taliban weigerten
sich, der Aufforderung nachzukommen, doch die Schärfe der Äußerungen, die
ihnen übermittelt wurden, lässt es möglich erscheinen, dass bin Laden die
Angriffe auf das World Trade Center in New York und auf das Pentagon vor
zehn Tagen durchaus nicht aus heiterem Himmel heraus unternahm, sondern
als Präventivschlag auf vermeintliche Drohungen der USA hin."
Bush, das Öl und die Taliban
Ein Buch mit dem Titel "Bin Laden, die verbotene Wahrheit", das am 15.
November in Frankreich erschien, enthält weitere Informationen über
geheime Kontakte zwischen der Bush-Regierung und dem Talibanregime. Die
Autoren sind Jean-Charles Brisard und Guillaume Dasquie. Brisard ist ein
ehemaliger französischer Geheimagent, der bereits früher einen Bericht
über bin Ladens Al-Qaida-Netzwerk verfasst hat, und ehemaliger Leiter der
Strategieabteilung des französischen Konzerns Vivendi. Dasquie ist ein
Journalist, der sich auf Enthüllungen spezialisiert hat.
Diese beiden Autoren schreiben, dass die Bush-Regierung ungeachtet
ihrer Vorwürfe an die Taliban, sie unterstützten den Terrorismus, bereit
gewesen sei, sich mit ihrem Regime abzufinden, falls es im Hinblick auf
die Ausbeutung der Ölvorkommen in Zentralasien kooperationsbereit sei.
Bis zum August betrachtete die US-Regierung nach Einschätzung von
Brisard und Dasquie die Taliban "als Garanten der Stabilität in
Zentralasien" und ging davon aus, dass sie "den Bau einer Ölpipeline durch
Zentralasien ermöglichen würden". Erst als die Taliban nicht auf die
Bedingungen der USA eingingen, sei "das Motiv der sicheren
Energieversorgung in ein Motiv für Militäraktionen umgeschlagen".
Nebenbei soll vermerkt werden, dass weder die Clinton- noch die
Bush-Regierung Afghanistan jemals auf die offizielle Liste derjenigen
Staaten setzten, denen Unterstützung des Terrorismus zur Last gelegt wird,
obwohl das Talibanregime zugab, dass sich bin Laden als Gast in seinem
Land aufhielt. Aber eine solche Klassifizierung hätte es den
amerikanischen Öl- und Baufirmen von vornherein unmöglich gemacht, mit
Kabul ein Abkommen über eine Pipeline zu den zentralasiatischen Öl- und
Gasfeldern zu unterzeichnen.
Die Gespräche zwischen der Bush-Regierung und den Taliban begannen im
Februar 2001, kurz nach Bushs Amtseinführung. Im März traf ein Gesandter
der Taliban in Washington ein und überreichte dem neuen Chef Geschenke,
zum Beispiel einen wertvollen afghanischen Teppich. Doch die Gespräche
waren alles andere als herzlich. Brisard sagte: "Einmal erklärten die
Vertreter der USA den Taliban während der Verhandlungen: ‚Entweder ihr
nehmt unser Angebot an, dann rollen wir Euch einen goldenen Teppich aus,
oder aber wir begraben Euch unter einem Bombenteppich."
So lange eine Einigung über eine Pipeline nicht ausgeschlossen schien,
stellte das Weiße Haus weitere Ermittlungen über die Aktivitäten Osama bin
Ladens zurück, schreiben Brisard und Dasquie. Sie berichten weiter, dass
John O'Neill, der stellvertretende Direktor des FBI, im Juli aus Protest
gegen diese Behinderung seiner Tätigkeit zurücktrat. O'Neill äußerte den
Autoren gegenüber in einem Interview: "Das größte Hindernis für die
Ermittlungen gegen den islamischen Terrorismus waren die Interessen der
amerikanischen Ölkonzerne und die Rolle Saudi Arabiens in diesem
Zusammenhang." Ein seltsamer Zufall wollte es, dass O'Neill nach seinem
Ausscheiden aus der CIA die Stellung des Sicherheitschefs für das World
Trade Center annahm und am 11. September ums Leben kam.
Die beiden französischen Autoren bestätigen Niaz Naiks Darstellung des
Geheimtreffens in Berlin und ergänzen, es sei offen besprochen worden,
dass die Taliban den Bau einer Pipeline aus Kasachstan erleichtern
müssten, um als Gegenleistung von den USA und auf internationaler Ebene
anerkannt zu werden. Die Atmosphäre der Gespräche zwischen den USA und den
Taliban verschlechterte sich zusehends, bis sie am 2. August nach einem
letzten Treffen der US-Abgesandten Christina Rocca mit einem Vertreter der
Taliban in Islamabad schließlich eingestellt wurden. Zwei Monate später
fielen die ersten amerikanischen Bomben auf Kabul.
Die Politik der Provokation
Die bisherige Zusammenfassung der Kriegsvorbereitungen gegen
Afghanistan bringt uns nun zum 11. September. Die Terroranschläge, die das
World Trade Center zum Einsturz brachten und das Pentagon beschädigten,
waren ein wichtiges Glied in der Kausalkette, die zum Angriff der USA auf
Afghanistan führte. Die amerikanische Regierung hatte den Krieg von langer
Hand vorbereitet, doch erst der Schock des 11. September ermöglichte seine
politische Umsetzung, indem er die öffentliche Meinung im eigenen Land
betäubte und Washington ein wichtiges Druckmittel gegen zögernde
Bündnispartner im Ausland an die Hand gab.
Sowohl die Öffentlichkeit innerhalb von Amerika als auch Dutzende
Regierungen im Ausland wurden ultimativ aufgefordert, im Namen des Kampfs
gegen den Terrorismus den Militärangriff auf Afghanistan zu unterstützen.
Die Bush-Regierung nahm Kabul ins Visier, ohne den geringsten Beweis dafür
vorzulegen, dass bin Laden oder die Taliban tatsächlich für den
schrecklichen Anschlag auf das World Trade Center verantwortlich waren.
Sie stürzte sich regelrecht auf die Ereignisse des 11. September, um lang
gehegte amerikanische Machtambitionen in Zentralasien zu stillen.
Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass die Ereignisse des 11.
September einfach nur von ungefähr kamen. Sämtliche übrigen Einzelheiten
des Kriegs in Afghanistan sind minutiös geplant worden. Es ist
unwahrscheinlich, dass die amerikanische Regierung das Problem eines
geeigneten Vorwands für militärische Aktionen dem Zufall überließ.
Unmittelbar nach dem 11. September berichteten - insbesondere außerhalb
der USA - verschiedene Zeitungen darüber, dass die Geheimdienste der USA
präzise Warnungen vor groß angelegten Terroranschlägen erhalten hätten. In
diesem Zusammenhang sei auch vom Einsatz entführter Flugzeuge die Rede
gewesen. Es ist durchaus möglich, dass in der amerikanischen Regierung auf
höchster Ebene beschlossen wurde, einen solchen Angriff nicht zu
verhindern, weil er als notwendiger Anlass für den Krieg gegen Afghanistan
dienen könnte. Dabei waren sich die Verantwortlichen möglicherweise über
das Ausmaß des bevorstehenden Schadens nicht im Klaren.
Wie anders soll man die unbestrittene Tatsache erklären, dass die
Führungskräfte des FBI Ermittlungen gegen Zaccarias Massaoui verhinderten,
obwohl der französisch-marokkanische Einwanderer unter Verdacht geriet,
weil er bei einer Flugschule in den USA lediglich darin ausgebildet werden
wollte, wie man ein Passagierflugzeug lenkt, ohne sich für Start oder
Landung zu interessieren?
Die Außenstelle des FBI in Minneapolis hatte Massaoui Ende August
verhaftet und das FBI-Hauptquartier um die Genehmigung weiterer
Ermittlungen ersucht, beispielsweise sollte die Festplatte seines
Computers durchsucht werden. Die Führungsspitze des FBI lehnte diesen
Antrag mit der Begründung ab, dass nicht genügend Hinweise auf kriminelle
Absichten Massaouis vorlägen - eine erstaunliche Entscheidung, wenn man
bedenkt, dass diese Agentur mit den Bürgerrechten ansonsten nicht gerade
zimperlich umgeht.
Damit soll nicht behauptet werden, dass die amerikanische Regierung die
Terroranschläge im Einzelnen bewusst geplant oder im Voraus gewusst habe,
dass nahezu 5000 Menschen getötet werden würden. Im höchsten Maße
unglaubwürdig ist allerdings die offizielle Erklärung für den 11.
September, die da lautet: Ein Dutzend islamische Fundamentalisten, deren
Verbindungen zu bin Laden größtenteils bekannt waren, konnten von drei
Kontinenten aus eine umfassende Verschwörung bilden und das bekannteste
Machtsymbol Amerikas ins Visier nehmen, ohne dass irgendein amerikanischer
Geheimdienst irgendetwas merkte.
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