Übersetzung aus dem
Susurlukbericht von Kutlu Savas
einem Dokument über Verbrechen des Staates Türkei im In- und Ausland
03/99
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D-10969 BerlinDie Entführung des Vorsitzenden der PKK, Abdullah Öcalan, wurde durch eine Einheit der "bordobereliler", der Soldaten mit dem weinroten Barett, durchgeführt. Zu dem Kommandanten der Aktion heißt es in der Tageszeitung Milliyet v. 17.2.1999: "Bei der mit großer Sorgfalt durchgeführten Auswahl der Beteiligten dieser Operation, entschloß man sich einen erfahrenen Beamten als Kommandanten des Einsatzkommandos zu bestimmen, der bereits 1982 an Operationen gegen die Terrororganisation ASALA beteiligt war." Der türkische Staat bildete 1982 aus faschistischen Aktivisten, wie Abdullah Catli und Haluk Kirci Einsatzgruppen, die in Frankreich und Holland gegen armenische Führer und Einrichtungen Anschläge durchführten. Die von 1982 - 1985 durchgeführten Bombenanschläge und Attentate werden, wie auch etliche andere vom türkischen Staat organisierte Verbrechen, in dem Susurlukbericht des Kutlu Savas offiziell bestätigt. (s. dazu unten den Auszug aus dem Abschnitt "Abdullah Catli").
Der Unfall bei Susurluk im November 1996 löste in den türkischen Medien zahlreiche Enthüllungen über die türkische Mafia, deren Stellen im Staatsapparat und staatlich organisierte politische Morde aus. Nach Vernehmungen von Beamten vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuß sowie Erklärungen verschiedensten Personen aus dem Sicherheitsapparat und den Todesschwadronen, beauftragte Ministerpräsident Mesut Yilmaz 1997 die Inspektionsbehörde beim Ministerpräsidialamt unter Leitung von Kutlu Savas damit, einen Bericht über die Susurlukaffäre zu erstellen. Trotz erheblicher Unzulänglichkeiten dokumentiert der Bericht die Verwicklung von Mafia, Drogenhandel und Sicherheitsapparat sowie die staatliche Organisation von politischen Morden und anderen Verbrechen durch die Türkei, die er allerdings zugleich rechtfertigt.
Der 119 Seiten lange Bericht wurde im Januar 1998 bis auf 11 Seiten der Presse übergeben und stellt die erste offizielle Erklärung der Regierung der Republik Türkei dar, in der die Organisation derartiger Verbrechen im In- und Ausland durch staatliche Institutionen der Türkei eingestanden wird.
Das Folgende sind Auszüge aus dem Susurlukbericht von Kutlu Savas. Die vollständige Übersetzung ist Teil der Broschüre: Bandenrepublik Türkei? Der Susurluk-Bericht des Ministerialinspektors Kutlu Savas mit einer Einführung in die Susurlukaffaire von Yeter Savas, 108 S., 10,-- DM Erhältlich über die Herausgeber: Archiv Papiertiger, Cuvrystr. 25, 10997 Berlin, Tel.: 030 / 618 30 51 oder: Internationaler Verein für Menschenrechte in Kurdistan (IMK) e.V. Postfach 200738, D-53137 Bonn, Tel.: +49/(0)228 / 36 28 02 oder 36 80 712, Fax: 36 32 97 Email:
IMKKURDS@aol.com Der Bericht von Kutlu Savas behandelt nur einen Ausschnitt der Susurlukaffäre und der Ereignisse und Verwicklungen, die unter diesem Namen diskutiert werden. In der Broschüre werden deshalb in einer Einführung von Yeter Savas Hintergründe und Zusammenhänge der Susurlukaffäre und des Susurlukberichtes von Kutlu Savas erläutert. Dazu gehören auch einige Materialien, die die Verharmlosungen bzw. den Eindruck, mit Susurluk sei eine derartige "Staatspolitik" beendet, widerlegen. Es folgt dann die vollständige deutsche Übersetzung des Berichtes (inkl. der 11 "geheimgehaltenen" Seiten), die mit einigen erläuternden Anmerkungen versehen ist, sowie ein Index der Namen und ein Glossar. Der Index und einige Fotoseiten enthalten außerdem nähere Informationen über einige Personen, die in die Susurlukaffäre verwickelt sind. Außerdem sind deutsche und türkische Literaturangaben zu diesem Thema und einzelnen Fragen enthalten. Eine englische und türkische Fassung der Broschüre wird in Kürze erscheinen. Beim IMK e.V. ist auch der türkische Text des Susurlukberichtes erhältlich.Aus dem Bericht von Kutlu Savas:
- Alle Fußnoten, die nicht mit A.d.Ü. gekennzeichnet sind, sind Originalanmerkungen des Berichtes. Soweit es sich um die 11 Seiten handelt, die man versuchte geheimzuhalten, sind sie als "Verschlußsache" gekennzeichnet.
"[...]
DAS GENERALPOLIZEIPRÄSIDIUM
Der Kampf gegen die PKK oblag während der ganzen 80er Jahre den Streitkräften. Selbst in politischen Diskussionen bot es Anlaß zu Kritik, daß die Regierungen keine Vorkehrungen gegen den Terror trafen und die Sache dem Militär übertrugen. Danach, so auch beim späteren Machtwechsel Ende 1991 kann ebenfalls nicht davon die Rede sein, daß sich in der Bekämpfung des Terrors etwas Grundlegendes geändert hätte. [...] Später brachte das Jahr 1993 radikale Änderungen auf die Tagesordnung und bei der Terrorbekämpfung begann die Zeit der Falken. Die Ministerpräsidentin [Tansu Çiller - d.Ü.] bestimmte den Kampf gegen den Terror zur vorrangigen Aufgabe. Zum Chef des Generalpolizeipräsidiums wurde Mehmet AGAR (1) ernannt und es wurden ernsthafte Prioritäten gesetzt: so wurde der Polizei bei der Terrorbekämpfung eine aktivere Rolle zuerkannt und die Sondereinsatzkommandos (2) rückten in den Vordergrund. [...] Vor allem im Osten formieren sich Gruppen von Dorfschützern und "Geständigen" verstärkt zu Banden, da ihre Zukunft ungewiß ist. Dabei ist es ratsam für sie [ihre Beute mit anderen - d.Ü.] zu teilen, wie bereits Yesil formulierte: "Seid klug und verzehrt nicht alles allein. Teilt, sonst gönnen sie euch diesen Verdienst nicht und bringen euch dazu, alles wieder auszuspucken". Der Prozeß einer solchen Bandenbildung hätte sich nicht allein auf den Osten und Südosten beschränken können - und er hat es auch nicht. Er weitete sich aus auf die großen Provinzen und nahm die Richtung, den Staat zu zerstören und die Institutionen unbrauchbar zu machen (3). [...] Die Gruppen, die in diesem Sumpf agieren, unterliegen einer logischen - jedoch nicht nachweisbaren - Reihenfolge. Obwohl sie [nur - d.Ü.] aus einigen hundert Personen bestehen, stehen die "Geständigen" (4) wegen der von ihnen geknüpften Beziehungen an erster Stelle. Die Dorfschützer (5), die zahlenmäßig sehr viele und auch in zahlreiche illegale Aktivitäten verstrickt sind, folgen prozentual an zweiter Stelle. An dritter Stelle steht die Polizei, danach folgt die Gendarmerie. [...] Unser Polizeiapparat besteht aus 150.000 Leuten. Es ist sicher falsch, gut ausgebildete Fachkräfte und Zehntausende , die sich aufopferungsvoll engagieren und jederzeit ihren Beruf sowie ihre Zukunft, einschließlich ihres Lebens aufs Spiel setzen, pauschal zu verdächtigen oder gar zu beschuldigen. Doch es ist auch keine realistische Sichtweise zu behaupten, es gäbe keine Verbindung zwischen dem Polizeiapparat und der Susurlukaffäre. Diese schmale Linie wurde in allen unseren Arbeitsphasen aufmerksam berücksichtigt.[...] Polizeichef Mehmet AGAR hatte es tatsächlich - wie es auch andere, uns bekannte, Beispiele in der Bürokratie gibt - durch die Unterstützung der Ministerpräsidentin sowie der unter seinem Befehl stehenden Organisation zu einer einflußreichen Macht gebracht. Die über das gesamte Land verbreitete Organisation des Polizeiapparates wiederum verlieh dieser Macht enorme Dimensionen. Die Möglichkeiten, über die der Polizeiapparat verfügte, nahmen zu, am bedeutendsten war jedoch die Unterstützung und das Vertrauen seitens der Ministerpräsidentin. [...]DIE GENDARMERIE
Ost- und Südostanatolien unterstehen der Kontrolle des Korps für Sicherheit und Ordnung. Der Bereich der militärischen Bekämpfung des Terrors steht außerhalb unserer Kenntnis und Befugnisse. Es ist aber Fakt, daß man sich mit der Gendarmerie nicht unabhängig von den Vorfällen beschäftigen kann, die sich in der Region ereignen. Da die Susurlukaffäre nicht einfach ein Autounfall war und in einem umfassenden Zusammenhang steht, dessen Zentrum in Ankara ist, würde diese Untersuchung unter einem ernsthaften Mangel leiden, ließe man das Ausnahmezustandsgebiet, in dem die Verwicklungen am weitesten zugespitzt sind, und die dortigen Bediensteten außer acht. Auch wenn die Generalkommandantur der Gendarmerie es bestreitet, stellt die Existenz des JITEM (6) eine unübersehbare Tatsache dar. Es kann sein, daß der JITEM nicht mehr existiert, daß er aufgelöst wurde, daß sein Personal in andere Einheiten versetzt wurde, daß die Unterlagen ins Archiv geschickt wurden. Etliche Bedienstete, die ihren Dienst im JITEM versehen haben, sind jedoch am Leben. Außerdem stellt die Existenz des JITEM keinen Fehler dar. Eigentlich ist der JITEM aus einer Notwendigkeit heraus entstanden. Die Dorfschützer und die "Geständigen" waren mit ihrem effektiven Einsatz für die Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen die PKK eine große Hilfe. Diese Situation hat die Sympathie für die Sicherheitskräfte erhöht. Dadurch, daß die Sondereinheiten [der Polizei - d.Ü.] sich in den ländlichen Regionen eigenverantwortlich, effektiv und frei bewegen können, wurde beständig ihre Neigung zum Überschreiten ihrer dienstlichen Befugnisse und zur Duldung von strafbarem Verhalten in den eigenen Reihen größer. Nun konnte man beobachten, daß innerhalb der Gendarmerie eine Gruppe, die man als JITEM bezeichnete, aktiv wurde, um den Einsatz und die Leitung der Sondereinheiten zu koordinieren. Der JITEM führte in der Region sehr effektive Einsätze durch. Die lokalen Gendarmerieeinheiten waren von diesen Einsätzen größtenteils nicht informiert. Mit der Zeit erregten die Aktivitäten der Zivilpersonen und der Soldaten, die im Rahmen des JITEM eingesetzt waren, in dem Gebiet Aufmerksamkeit. Da in die Struktur des JITEM in großer Zahl Dorfschützer und "Geständige" einbezogen waren, erhöhte sich die Rate der straffälligen Personen. Diese Personen, die sich mit der Zeit aus der Region entfernten, setzten ihre Aktivitäten in geeigneter Umgebung fort. Zwei Personen aus diesen Gruppen wurden in der Öffentlichkeit in besonderem Maße bekannt. Einer ist der Major A. Cem ERSEVER. Der andere ist Mahmut YILDIRIM, Der Grüne (YESIL).[...]MAHMUT YILDIRIM (YESIL)
[...] MAHMUT YILDIRIM, Deckname YESIL Wirklicher Name: Mahmut YILDIRM Decknamen: Ahmet YESIL - Mehmet KIRMIZI, - "der Bärtige" - "Terminator" Sohn des Salih Derdi, geboren 1953 in BINGÖL/Solhan [...] - Schließlich sammelte die Person [Mahmut Yildirim - Yesil - d.Ü.] auf Befehl der Gebietskommandantur der Gendarmerie von Tunceli im Namen der erwähnten Kommandantur in Nazimiye und Ovacik nachrichtendienstliche Informationen und nahm zusammen mit den Sicherheitskräften an Aktionen teil. - Da er infolge dieser Tätigkeiten in der Region seine Tarnung verlor, wurde er vom Gendarmeriekommandanten für Sicherheit und Ordnung nach DIYARBAKIR berufen. Zu dieser Zeit lernte er einen unserer Mitarbeiter (7) bei der Gendarmeriekommandantur für Sicherheit und Ordnung Tunceli kennen und arbeitete selbst für die Gendarmeriekommandantur für Sicherheit und Ordnung DIYARBAKIR im ländlichen Bereich. - Im März 1992 war er für die Sicherheitskommandantur Tunceli tätig. In einem Gespräch mit einem unserer Mitarbeiter sagte er, er werde Aysel DOGAN, die die PKK-Aktivitäten in TUNCELI dirigierte, illegal verhören und für den Fall, daß sie keine Aussage machte, beseitigen, woraufhin unser Mitarbeiter ihn überzeugte, von diesem Vorhaben abzulassen. Am 17.3.1993 wurde unseren zuständigen Einheiten die Anordnung erteilt, "darauf acht zu geben, mit ihm in keinem Falle Kontakt zu pflegen, da er ein Mann sei, der Komplikationen bereiten könnte". - Am 27.5.1992 wurden 5 PKKler, die in der Provinz MUS von Sicherheitskräften festgenommen worden waren, auf ihrem Weg zum Verhör bei der Abteilungsdirektion der Sondereinsatzkommandos von dem Besagten ermordet. Bezüglich des Falles, in den auch die Namen zweier Mitarbeiter unserer Einheit in Bingöl verwickelt sind, existiert ein Schreiben mit dem Namen und der Unterschrift Ahmet YESIL und der Bezeichnung "Beauftragter der Kommandantur des Korps für Sicherheit und Ordnung". - Gemäß den vorliegenden Informationen über die Person nach diesem Fall kann unsere besagte Einheit in Bingöl bezeugen, wie im Beisein auch des stellvertretenden Kommandanten des Korps für Sicherheit und Ordnung im Dienstzimmer des Gendarmeriekommandanten der Provinz Bingöl die bekannte und besagte Person (M. YILDIRIM) Geld forderte, und der stellvertretende Kommandant des Korps eine entsprechende Auszahlung verfügte. - Der Besagte nahm am 5.5.1992 an der Versammlung der Sicherheitskommission der Provinz teil, an der auch der Gouverneur von Mus, der Polizeipräsident und der Gendarmeriekommandant der Provinz sowie der Polizeipräsident von Bingöl beteiligt waren. Er brachte auf der Versammlung zum Ausdruck, er erhalte von unserer Einheit in Bingöl keine Hilfe. [...] - Muhsin GÜL (Deckname: Stotterer-Metin), der seit 1994 im Gefängnis Diyarbakir saß, sagte in seinen Vernehmungen bei der Mordkommission Diyarbakir zwischen dem 22.7.1994 und dem 16.8.1994 über Ahmet DEMIR [einer der von Mahmut Yildirim - Yesil benutzten Namen - d.Ü.] aus: - "Bayram KANAT, der am 6.4.1994 in Diyarbakir, in der Sehitlik Mahallesi 75. Sokak Nr. 31 verschleppt wurde und am 1.6.1994 an der Straße nach Mardin unter der Gözlü-Brücke tot aufgefunden wurde, sei nach einem Plan des Gendarmeriebediensteten Ahmet DEMIR in Diyarbakir entführt worden.[...] - Den pensionierten Major Ahmet Cem ERSEVER, der in der Nähe des Kreises Elmadag bei Ankara ermordet wurde, hätten Ahmet DEMIR (Deckname Yesil), der "Geständige" Alaattin KANAT (Deckname General Zinnar), Ibrahim BABAT (Deckname Mete) und ein namentlich Unbekannter mit einer Brille und dem Decknamen "Hoca", der etwa 35 Jahre alt und klein war und den Dialekt von Gaziantep sprach, getötet. Als später auch der Freund von A. C. ERSEVER, Mustafa DENIZ, und seine Geliebte Neval BOZ auf dieselbe Weise getötet wurden, hätten die Besagten ihre Waffen beim Nachrichtendienst der Gendarmerie in Ankara/Aydinlikevler abgelegt und seien mit dem Bus zu ihrem Zielort geschickt worden. - Der Mann mit dem Decknamen Yesil habe ständig zu ihnen gesagt, er mache diese Arbeit seit 23 Jahren, und die Personen, die er getötet habe oder die er habe töten lassen, seien alles Kommunisten gewesen". Auf diese Weise stempelte er sämtliche Todeskandidaten zu Kommunisten und betrieb somit bei den "Geständigen" und den übrigen Leuten, die er um sich geschart hatte, Gehirnwäsche. [...] - Der Dorfvorsteher des Dorfes Hosgeldi bei Bulanik/Mus, die Tochter seines in ISTANBUL als Dolmuschfahrer arbeitenden Bruders, Zeynep BABA sowie die Schreinertochter Sükran MIZGIN aus TATVAN bei BITLIS, die von der Verhörabteilung der Gendarmerie Diyarbakir dem Staatssicherheitsgericht überstellt worden waren, wurden nach ihren ersten Vernehmungen freigelassen, gleich darauf jedoch von A. DEMIR und einer Person mit dem Decknamen Rezzak, wohnhaft in ELAZIG, wieder ergriffen und eine Zeitlang gefoltert und vergewaltigt. Sükran MIZGIN wurde am Stadtrand von MUS unter einer Brücke getötet, was mit Zeynep BABA geschah, ist nicht bekannt. [...] - (Den Mord an dem Abgeordneten [der prokurdischen DEP - d.Ü.] von Batman, Mehmet SINCAR, haben Alaattin KANAT, Mesut MEHMETOGLU, Ismail YESILMEN und Ahmet DEMIR (Deckname Yesil) gemeinsam geplant und ausgeführt), nach der Tat habe A. KANAT gesagt, er verfüge über ein "unterzeichnetes Garantieschreiben". - A. DEMIR habe von Zeit zu Zeit zu ihm (M. GÜL) und seinen übrigen Freunden gesagt, er habe "die Istanbuler Mafia zum Zerfall gebracht; er selbst habe die Morde an Behçet CANTÜRK und an den auf dieselbe Weise getöteten Mafiosi und PKK-Anhängern geplant und durchführen lassen". - Die Morde an Vedat AYDIN (8) und Musa ANTER (9) habe ebenfalls A. DEMIR geplant und ausgeführt. - Die Gruppe um A. DEMIR und A. KANAT habe im Raume Diyarbakir und Umgebung mittels Drohbriefen, die den Stempel der PKK trugen, hohe Geldbeträge eingetrieben, wobei er selbst (M. GÜL) im Jahre 1993 die Briefe den Firmen "Cezayir Ticaret, Öz Diyarbakir, Diyarbakir Sur, Diyarbakir Itimat" und den Firmen "Ceylan Bau [Insaat], Intim Bau [Insaat]" auf der Melikahmet-Straße übergeben habe, während Mesut MEHMETOGLU und A. KANAT das Geld eingetrieben hätten.[...] - Für die Ermordung der Rechtsanwältin Hüsniye ÖLMEZ am 20. Oktober 1993 auf der Straße nach Bismil habe Serdar OD, M. MEHMETOGLU und er selbst (M. GÜL) den Auftrag erhalten, ihm persönlich habe man befohlen, die Tötung durchzuführen, sie hätten dies jedoch nicht fertiggebracht. - Ihm sei auch befohlen worden, den Vorsitzenden der Rechtsanwaltskammer Diyarbakir, Fethi GÜMÜS sowie den Lehrer Suphi KOÇ vom Technischen Gymnasium Karsiyaka bei Elazig zu töten, beide Taten habe er jedoch nicht ausführen können. - Geplant und veranlaßt wurden die genannten Taten von dem als Major Kerim bekannten Abdülkerim KIRCA beim Nachrichtendienst der Gendarmerie, von Ahmet DEMIR und Alaattin KANAT. [...] - Major Kerim, Yesil und A. KANAT zahlten nach jeder Hinrichtung ein "Kopfgeld" von 10.000.000 TL, der Rest kam der Organisation zugute, wie von den genannten Personen gesagt worden sei. - Er (M. GÜL), A. DEMIR, I. YESILMEN und B. SARE hätten eine Wohnung mit der Anschrift "Ofis Gevran Cad. Yeniçeri Apt. Kat. 2 No: 6" zur Verfügung gestellt bekommen, in der in einem schwarzen Notizbuch zahlreiche Geheimnisse von Yesil aufbewahrt wurden. - Der Quittungsblock mit Geldquittungen, versehen mit dem ERNK-Stempel, sei vor anderthalb Jahren einem PKKler, der in Ankara in einem Flugzeug festgenommen wurde, abgenommen und vom Nachrichtendienst der Gendarmerie in Ankara an A. DEMIR weitergegeben worden. Dieser habe dann mit Hilfe seiner übrigen Freunde mit den Quittungen Geld eingetrieben, wobei die Art der Drohungen und die Höhe des Geldbetrages von YESIL, KANAT, YESILMEN und M. MEHMETOGLU festgelegt wurden.[...]"Soweit die Angaben [des Muhsin Gül - d.Ü.].
[...]
Am 30. November 1997 auf der Sitzung, die unter dem Vorsitz des Herrn Ministerpräsidenten beim MIT durchgeführt wurde, kam unsere diesbezügliche Kritik zur Sprache; es wurde gesagt, daß der MIT doch eigentlich eine angesehene Institution sei und man über derartige Machenschaften betrübt sei, woraufhin der Staatssekretär Sönmez KÖKSAL die Frage stellte: "Glauben Sie, daß der MIT immer nur mit angesehenen Leuten zusammenarbeitet?" Man versuchte, es zu erklären. Der MIT würde von geeigneten Leuten, von Leuten, die sich in einem Bereich auskannten, Informationen zusammentragen. Doch ebenso, wie diese Leute durch ihren Dienst für den MIT nicht an Ansehen gewinnen könnten, könne auch der MIT sich nicht auf ihre Ebene herablassen. Die Tatsache aber, daß YESIL den Abteilungsleiter beim MIT Mehmet EYMÜR vertrauensvoll mit "Vater" anspricht und mit dem Polizeipräsidenten von Kocaeli über die Lage von Hadi ÖZCAN diskutiert, charakterisiert die Beziehung, die auf das Problem hindeutet. Dies genau ist die in den letzten Jahren aufgedeckte Affäre, die wir als Susurlukaffäre bezeichnen. Die Haltung, trotz soviel bekannter Informationen, einen Mann, der eigentlich vernichtet gehört, aus der VIP-Lounge heraus zu einem Staatsauftrag zu schicken, auch das ist Susurluk.[...]
[Beginn Verschlußsache, S. 68-71 im Original]
DER PUTSCH IN ASERBAIDSCHAN
Als auch die Polizei der Türkei sich mit Auslandsangelegenheiten zu beschäftigen begann, wandte sie sich Abdullah ÇATLI zu, der früher für den MIT gearbeitet hatte und in die Türkei zurückgekehrt war. Sie setzte ihn bei Operationen im Ausland ein. Andererseits bot dies eine Gelegenheit die Fühler nach Aserbaidschan auszustrecken. Denn trotz des Durcheinanders in diesem Land erweckten die Ölquellen Aserbaidschans das Interesse einiger Leute, vor allem von Politikern.[...] Kurz zusammengefaßt wurde dem verehrten Ministerpräsidenten unsererseits folgendes mitgeteilt: Die türkische Seite war an den Putschvorbereitungen (10) beteiligt; Cevadov und seine Anhänger erhielten Unterstützung aus der Türkei. Neben dem MIT war auch die Polizei darin verwickelt. Mitglieder der Sondereinsatzkommandos trainierten in verschiedenen Gebieten Aserbaidschans Gruppen. Sie brachten Sprengstoff und Waffen dorthin. [...] Somit hat sich offen gezeigt, daß die Türkei vorhatte, in einem befreundeten Staat einen Putsch durchzuführen.[...] Bei den Vorfällen, die sich als ein Überfall Aliyevs abspielten (11), kamen 200 Personen ums Leben. Cevadov wurde erschossen, obwohl er eine weiße Fahne in der Hand hielt. Der CIA dokumentierte, wie die Anhänger Aliyevs trotz der weißen Fahne weiterhin feuerten, und Aliyev verlautbarte am selben Tag im Fernsehen, daß die Türkei in die Sache verwickelt sei.[...][Ende Verschlußsache]
BEHÇET CANTÜRK
Im folgenden werden einige Informationen des Geheimdienstes über den armenischstämmigen Behçet CANTÜRK aufgeführt: Geboren wurde er als Sohn des Resit und der Hatun in Lice bei DIYARBAKIR. - Er war "Kurdist" und hat nach dem Erdbeben vom 20.11.1975 in Lice behauptet, der Staat würde nicht ausreichend Hilfe leisten und versuchte somit, die Bevölkerung zum Aufstand anzustacheln. [... Es folgen dann Angaben, nach denen Behçet Cantürk mit der armenischen ASALA zusammengearbeitet habe, Rauschgifthandel betrieb und mit kurdischen Organisationen und Intellektuellen zusammenarbeite. - d.Ü.] - Seit 1992 war er einer der Finanziers der Zeitung Özgür Gündem... Diese Kurzinformationen klären über die Persönlichkeit des Mannes ausreichend auf. Obwohl offensichtlich ist, wer er war und was er tat, konnte der Staat Cantürk nicht beikommen. Die gesetzlichen Wege reichten nicht aus, und schließlich wurde die "Zeitung Özgür Gündem mit Plastiksprengstoff in die Luft gejagt. Während erwartet wurde, daß Cantürk nunmehr dem Staat nachgibt, machte dieser sich jedoch daran, etwas Neues zu gründen. So wurde von der Türkischen Sicherheitsorganisation beschlossen ihn zu ermorden und dieser Beschluß vollstreckt." Auf diese Weise war die - mit den Worten der damaligen Ministerpräsidentin ausgedrückt - vorliegende "Liste der Geschäftsleute, die sich als Finanziers der PKK betätigen" und die den Feststellungen nach aus rund 100 Leuten bestand, um einen Namen kürzer geworden. Es steht nicht zur Debatte, ob die Ermordung von Behçet CANTÜRK richtig oder falsch bzw. notwendig war oder nicht, doch man muß sich zwangsläufig einige Fragen stellen. Wer gab den Befehl für seine Ermordung? Wer verfügt über eine solche Kompetenz, und unter welchen Umständen? Wer ist wem gegenüber verantwortlich? Wie soll das System funktionieren, wie werden Verantwortlichkeiten aufgeteilt? Auch der Einwand, "in einem Rechtsstaat gebe es keinen Platz für solche Fragen", gilt unserer Auffassung nach nicht und ist mit der Realität unvereinbar. Angesichts dessen, daß eine solche Praxis in allen Ländern der Welt vorkommt, wird es sie sicher auch bei uns geben. Aber (wenn dieser Satz dem Herrn Ministerpräsidenten auch nicht passen wird) derartige Beschlüsse werden innerhalb der Regeln eines Rechtsstaates gefaßt und innerhalb der Ernsthaftigkeit des Staates auch in die Tat umgesetzt werden. [...] Wir können sagen, daß die oben genannten Dinge auch bei ähnlichen Fällen, z.B. bei der Ermordung von Savas BULDAN gelten. Der Betreffende ist mit Schmuggel und seinen PKK- freundlichen separatistischen Aktivitäten aktenkundig geworden. Auch für Medet Sarhat YÖS, Metin CAN und Vedat AYDIN gilt dasselbe. Urheber von Aktionen gegen die Einheit und Integrität des Staates haben eine schwere Bestrafung verdient. Die einzige Differenz zwischen dem, was getan wurde, und uns, besteht in der Art und den Folgen der Maßnahmen. Bei der Ermordung von Musa ANTER kann konstatiert werden, daß alle - einschließlich derer, die die Vorfälle billigten - es anschließend bereuten. Es wird gesagt, daß Musa ANTER an keiner bewaffneten Handlung beteiligt, sondern mehr mit der Philosophie der Angelegenheit befaßt war. Die Folgen seiner Ermordung hätten seinen tatsächlichen Einfluß noch übertroffen, daher sei der Beschluß, ihn zu töten, ein Fehler gewesen. (Informationen hierzu: Anhang 9) Es gibt auch noch andere Journalisten, die ermordet wurden.
[Beginn der Verschlußsache, Seite 75 im Original] Hafiz AKDEMIR: Zeitungen Yeni Ülke und Özgür Gündem, Sekretär des Jugendkomitees der Nationalen Befreiungsorganisation Kurdistans, KUK; Yahya ORHAN: Unterstützer der PKK, Korrespondent der Zeitungen Yeni Ülke, Günes und Özgür Gündem; Mecit AKGÜN: Korrespondent der 2000"e Dogru und der Yeni Ülke, Kreissekretär der in Nusaybin gegründeten Sozialistischen Partei, Unterstützer der PKK; Burhan KARADENIZ: Korrespondent der Yeni Ülke, Angehöriger und Unterstützer der PKK; Halit GÜNGEN: Diyarbakir-Korrespondent und Bürochef der Zeitschrift 2000"e Dogru, Vorstandsmitglied der Sozialistischen Partei in der Provinz Sirnak; Izzet KESER: Korrespondent der Zeitung Sabah, Angehöriger der TKP/B; Cengiz ALTUN: Batman-Korrespondent der Yeni Ülke, Angehöriger der PKK; Çetin ABABAY: Korrespondent der Özgür GÜNDEM, Angehöriger der PKK. All diese Menschen wurden Opfer von Morden mit unbekanntem Täter im Ausnahmezustandsgebiet. Die obigen Informationen gelangten auch ins Staatsarchiv. Was alle Ermordeten gemeinsam hatten, war ihre auffällige Persönlichkeit. [...][Ende der Verschlußsache]
[...]
[Beginn der Verschlußsache, Seiten 77 - 80 im Original]
ABDULLAH ÇATLI
Über ÇATLI wurden nach dem Unfall bei Susurluk viele Behauptungen verbreitet. Ein Teil bezeichnete ihn als Märtyrer und lobte ihn über alles, während andere ihn als Schmuggler und Bandenmitglied präsentierten. Im folgenden geben wir im Wortlaut einen anderthalbseitigen Bericht des MIT über Çatli wieder. "Im Rahmen der Umsetzung der Aktivitäten gegen die ASALA ab 1982 wurde am 22. Oktober 1983 in Paris in Frankreich [mit ihm - d.Ü.] Verbindung aufgenommen. Bei der ersten Besprechung wurde ihm der Auftrag geschildert und er gefragt, ob er ihn ohne Gegenleistung akzeptieren würde. Auf seine Zustimmung hin wurde er zum Einsatz gebracht. Die folgenden Aktionen, die gegen armenischen Ziele geplant waren, führte er mit anderen zusammen durch, die eine Gruppe bildeten:05. (06.) Dezember 1983: Frankreich/Paris, das zweite Mal wird eine Bombe in das Auto von Ara TORANYAN gelegt.
17. März 1984: Frankreich/Marseille, Bombenanschlag auf dasGebäude der armenischen Jugendorganisation. Mai 1984: Frankreich/Paris, eine Autobombe wird ins Fahrzeug des Henry PAPAZYAN gelegt (die Bombe explodiert nicht.). 04. Mai 1984: Frankreich/Alfortville, Bombenanschläge auf das armenische Denkmal, das Gebäude der armenischen Jugend, die Sporthalle, die Wache und ein Feuerwehrfahrzeug. 24. Juni 1984: Frankreich/Paris, Bombenanschlag auf das armenische Jugendwohnheim. Nachdem er am 24. Oktober 1984 in Frankreich wegen Drogenhandel festgenommen worden war, wurden die Verbindungen mit unserer Organisation [Wort nicht eindeutig lesbar - d.Ü.] abgebrochen. [...] "Zu der Zeit als man nach dem 12. September (Putsch 1980 - d.Ü.) nach Wegen zur Bewältigung des armenischen Terrors suchte, organisierte Hiram ABAS den Abdullah ÇATLI, den Haluk KIRCI und einige "Idealisten" (12). Diese Arbeiten wurden damals im Rahmen des Amtes des Staatspräsidenten (13) organisiert. Im Hinblick auf die Möglichkeit einer nicht unwahrscheinlichen negativen Entwicklung der Angelegenheit, wurden diese Arbeiten an den MIT übertragen. [...] Nachdem die Aktivitäten betreffend der ASALA dem MIT übertragen worden waren, wurde ÇATLI im Oktober 1984 bei einer Adresse, zu der er geschickt worden war unter merkwürdigen Umständen mit einer Tüte mit 250g Heroin festgenommen. Von 1984 - 1990 saß er in Frankreich und der Schweiz im Gefängnis. [...] Nachdem er in die Türkei zurückgekehrt war, benötigte er einen "Zufluchtsort". Dieser "Ort" war zuerst das Polizeipräsidium Istanbul und danach, 1993, sicherlich das Generalpolizeipräsidium der Türkei. Das Generalpolizeipräsidium stellte ihn wegen seiner Aktivitäten im Ausland als einen vertrauenswürdigen Kämpfer unter seinen Schutz. Die Angelegenheit, die uns beschäftigt, ist das mitleidlose Bild, das der Staat bot. Wenn ÇATLI unter der Identität, unter der man ihn bei den Militärgerichten und der Kommandantur der Militärgerichtsbarkeit Ankara kannte, ein Mörder war, der mit der Strafdrohung der Todesstrafe anzuklagen war, warum hat man ihn dann für diesen Auftrag eingesetzt? Wenn die Aufgabe, die man vom ihm durchführen ließ, ein Problem des Staates war, warum wurde er dann nicht legalisiert, indem man ihn für 3-4 Jahre als Strafgefangenen ins Gefängnis gebracht hätte und nach Absitzen dieser Strafe als normalen Menschen wieder in die Gesellschaft zurückkehren gelassen hätte? [...][Ende der Verschlußsache]
[...]
Vor allem muß auch ermittelt werden, wie Abdullah ÇATLI an die 12 verschiedenen Personalausweise, Pässe, Führerscheine u.ä. gekommen ist, und es muß festgestellt werden, von wann an er auf wessen Befehl hin welche Aufträge ausgeführt hat. [...]DIE BANDEN
Es haben sich verschiedene Banden gebildet, die zum öffentlichen Thema geworden sind. Besondere Aufmerksamkeit haben die Kocaeli-Bande (Hadi ÖZCAN), die Söylemez-Bande und die Yüksekova-Bande erregt. Mit allen diesen drei Bandengebilden ist die Justiz befaßt. Aber die Vorfälle endeten damit nicht. Die Verhaftung von Hadi ÖZCAN, die Beschuldigung, Chef einer Bande zu sein, die Veröffentlichungen, durch die seine Rolle und Bedeutung zu Tage gebracht wurde, und seine Inhaftierung - all das konnte nicht verhindern, daß er Nachrichten übermittelt, vermittels seiner Leute Schutzgelder eintreiben läßt und wie Alaattin Çakici (14) seine Macht noch steigert. Es ist interessant, wie solch ein merkwürdiger und geisteskranker Mensch wie Hadi ÖZCAN in diese Position gekommen ist. Der Genannte verfügt über Verbindungen und Beziehungen zur Polizei, zu der Gruppe um EYMÜR vom MIT und zur Gendarmerie. [...] Drehpunkt des Rauschgifthandels, bei dem der Rohstoff über Afghanistan und den Iran ins Land gelangt und in dem Dreieck von Adapazari, Bolu und Istanbul verarbeitet wird, um als Produkt nach Europa weitergeleitet zu werden, ist Kocaeli. Das Auftauchen der Banden in Kocaeli und die Verwicklung der Namen Veli KÜÇÜK, Regimentskommandant der Gendarmerie, Nihat CAMADAN, Polizeipräsident, und Affan KEÇECI in verschiedene Vorfälle hat den Verdacht und die Spekulationen erhöht. Dies ist der Grund dafür, daß das Gebiet als "Teufelsdreieck" bezeichnet wird.[...]AUSWERTUNG (15)
[...]
Susurluk hat seinen Ursprung in den [politischen - d.Ü.] Prioritäten, [die - d.Ü.] in Ankara [gesetzt wurden - d.Ü.], entwickelte sich im Ausnahmezustandsgebiet, griff auf die großen Zentren des Landes über und weitete sich aus, indem dort die entsprechenden Ereignisse, Personen und Gruppen einbezogen wurden. Im Endergebnis war ein vielschichtiges und tiefgreifendes Knäuel von Beziehungen entstanden und waren staatliche Institutionen und führende Vertreter wissentlich oder unwissentlich involviert. Wäre die Affäre nicht mit staatlichen Institutionen und Vertretern verknüpft gewesen, wäre es nur eine wichtige Kriminalgeschichte gewesen, die zwar 3-5 Tage lang das Interesse der Presse geweckt hätte, aber keine sensationelle Wirkung gehabt hätte.[...]GENDARMERIE
Der Nachrichtendienst der Gendarmerie war in der Vergangenheit sehr klein, schwach und gar auf dem Rang der Nachrichtendienste für Sicherheit und Ordnung in den Provinzen. Als Hulusi Sayin Pasa Generalstabschef war, wurde der Anti-Terror-Nachrichtendienst der Gendarmerie JITEM entwickelt. Er wurde durch Personen verstärkt, die die örtliche Sprache sprechen, und gewann langsam an Stärke. Er konnte jedoch nie das Niveau des MIT oder des Militärischen Nachrichtendienstes erreichen, was auch nicht nötig war. Der Nachrichtendienst der Gendarmerie hatte seinen Ursprung im Milieu des bewaffneten Kampfes, das von der PKK in den 80er Jahren geschaffen wurde. Deshalb verfolgte der JITEM weitgehend eine Entwicklungslinie, die mit dem Problem des Südostens, dem Grund seiner Existenz, verbunden ist. Jedoch die "Geständigen" und die lokalen Elemente, die in den JITEM aufgenommen wurden, blieben mit der Zeit führungslos und sich selbst überlassen und wurden deshalb selbst zur Quelle eines großen Problems. Nicht nur die örtlichen Elemente, sondern auch die beim Nachrichtendienst Angestellten waren nicht mehr der militärischen Hierarchie unterworfen. Major Cem ERSEVER konnte in einem Umfeld, in dem es Ranghöhere gab, selbständig handeln. Die aus örtlichen Elementen und "Geständigen" gebildeten Gruppen wurde dagegen zu jeder Zeit von der Gendarmerie benutzt. Wenn es auch berechtigt und angemessen ist, "das Feuer mit der Zange zu halten", blieben doch die "Geständigengruppen" in der Atmosphäre, die sich entwickelt hatte, mit der Zeit sich selbst überlassen. Alaattin KANAT ist ein bekannter "Geständiger" aus dieser Gruppe. Der berühmteste ist jedoch Mahmut YILDIRIM-YESIL, der für seine Brutalität und die große Zahl der von ihm getöteten Menschen bekannt ist. [...] Das beim Nachrichtendienst der Gendarmerie beschäftigte Personal, die Offiziere und Unteroffiziere bildeten auch nach ihrer Rückkehr aus dem Südosten in den westlichen Gegenden, in denen sie eingesetzt waren, mit den alten Elementen Gruppen. Auch nach ihrer Pensionierung pflegten sie ihre Beziehungen fortzusetzen. [...] Die Härte der eingesetzten Mittel und die grausamen Methoden, die die PKK verwendete, veranlaßten einige derjenigen, die den Kampf führten, dazu, später ähnliche Methoden zu verwenden.[Beginn der Verschlußsache, Seiten 103-104 im Original]
In den Zeiten, als der Konflikt sich verschärfte und Chaos herrschte, richteten sich die harten Methoden zeitweise gegen die Koordinierung der Verantwortlichen [der PKK - d.Ü.] in der Region, zeitweise aber auch gegen einzelne als PKKler bekannte Personen. "Personen aus der örtlichen Bevölkerung, die die Minen der Organisation in die Region gebracht und an den Straßen vergraben hatten, so daß zahlreiche Sicherheitskräfte dabei ums Leben kamen, wurden als abschreckendes Beispiel zusammen mit ihren Minen an Bäumen aufgehängt. Mit dieser Methode wurde in jenen Jahren die Verminung in den Provinzen Sirnak, Hakkari und Mardin innerhalb einer kurzen Zeit von etwa zwei Monaten beendet." Andererseits konnten strukturelle Probleme nicht gelöst werden. Dadurch, daß "Geständige", die für den Staat tätig wurden, die ihnen gesetzlich zustehenden Rechte nicht vollends erhalten haben und beispielsweise nach Beendigung der Arbeit sich selber überlassen wurden, fingen einige von ihnen an, die Bevölkerung mit PKK-Methoden zu belästigen. Für Dorfschützer hingegen war die ungewisse Zukunft Grund dafür, sich der illegalen Beziehungen und Betätigungen zu bedienen, die sie kannten oder gelernt hatten.[...] Danach wurde, insbesondere für Ziele im Ausland, eine gemeinsame Arbeitsgruppe aus Angehörigen des MIT, vom Generalstab, der Generalkommandantur der Gendarmerie und der Polizei gegründet. Diese führte Einsatzbesprechungen durch, an denen auch Kommandanten, Staatssekretäre und Polizeipräsidenten teilnahmen, und als vorrangiges Ziel wurde Abdullah ÖCALAN benannt. Beabsichtigt war, daß jede Institution alle verfügbaren Kanäle nutzen und aktiv beteiligt sein sollte. Nachdem in den Zeitungen einige Berichte über die Sache erschienen waren, wurde die Arbeit der Arbeitsgruppe eingestellt." Welche der Informationen, die bei dieser Arbeit ausgewertet wurden, auch praktisch genutzt werden konnten, ist unbekannt. Doch im Laufe der Zeit wurde ein Anschlag auf eines der bedeutenden Ziele, das LAMIA-Camp in Griechenland, verübt. Es befindet sich immer noch in derselben Region, hat jedoch dreimal den Platz gewechselt. Nach der Festnahme der Aktivisten, die in Griechenland ausgebildet wurden, um später in der Ägäis- und Mittelmeerregion unsere Wälder in Brand zu setzen, wurden wir Zeugen davon, wie auch in Griechenland große Waldbrände ausbrachen. Nach den Anschlägen in den Tourismusgebieten kam es auch in den touristischen Orten von Griechenland, auf Kreta und Rhodos, zu Explosionen. Zu der Zeit waren auch in Griechenland, Bulgarien und Rumänien einige der Arbeitsstätten, die von PKKlern betrieben wurden, von Bombenanschlägen betroffen. Außerdem gab es Attentatsversuche auf führende PKKler in Rußland und den Ostblockstaaten. Gleichermaßen fanden im Inland bei den legalen Ablegern der Organisation, bei Vereinen, Parteien und Zeitungen Explosionen statt, und auf Personen, die für die PKK Sprengstoff, Waffen und andere logistische Unterstützung besorgten, wurden Anschläge verübt. Nach diesen [...] (16) und den Operationen, die etwa zwei Jahre andauerten, kam es bei der Organisation zu einem erheblichen Rückgang sowohl bei den Gebirgs- als auch den [Stadtkräften - d.Ü.]. Es ist nur natürlich, daß jeder Staat illegale Aktivitäten [zur Wahrung - d.Ü.] seiner Interessen entfaltet. Diese Methoden wurden in der Vergangenheit und werden auch jetzt noch angewendet, und auch in Zukunft wird man dies tun. Es muß jedoch grundsätzlich so sein, daß sie von einer einzigen Hand koordiniert werden, und sie müssen so durchgeführt werden, daß keine Fehler auftreten. Die [Anschläge - d.Ü.] im Inland, die sich gegen Leute wie Behçet CANTÜRK und Savas BULDAN richteten, [Ende der Verschlußsache] erreichten ihr Ziel und fügten der PKK mehr Schaden zu als Gefechte. Aber die Angriffe gegen ganz normale Personen in den Provinzen des Südostens sowie gegen solche Personen, die nur als "Kurdisten" bekannt waren und keine direkte Beziehung zur PKK hatten, fügten der gesamten Sache Schaden zu. Das hing insbesondere damit zusammen, daß sich einige Beamte und "Geständige", die im Südosten an solchen Arbeiten beteiligt waren, in die großen Zentren absetzten, sich an materiellen Vorteilen orientierten und dabei degenerierten. [...]Anmerk des Übersetzers:
(1) Mehmet Agar wurde später Justiz- und dann Innenminister. Er mußte nach dem Unfall von Susurluk zurücktreten, da seine Verwicklung in Mafiageschäfte, Drogenhandel und staatliche Morde zu offensichtlich war. - A.d.Ü. (2) Spezialeinheiten der Polizei, die sich weitgehend aus Anhängern faschistischer Organisationen rekrutieren und für ihre Brutalität und Verwicklung in Drogenhandel, Erpressungen u.a. bekannt sind. - A.d.Ü. (3) In den Dokumenten über den Einsatz von Sondereinsatzkommandos bei Operationen wird immer nur die Formulierung "Durchführung eines Auftrags" verwendet, auch später werden keine Notizen oder erläuternden Anmerkungen mehr hinzugefügt, man beschränkt sich auf die Formulierung: "... zurückgekehrt zur Zentrale". (4) Eine Art Kronzeugen, die sich zur Zusammenarbeit mit den Sicherheitskräften bereit erklärt haben und auch an Einsätzen beteiligt werden. Etliche Killer der staatlichen Todesschwadrone sind aus ihren Reihen rekrutiert. - A.d.Ü. (5) Eine Art staatliche Miliz, die in den kurdischen Dörfern und oft über die traditionellen Stammesstrukturen rekrutiert wird. - A.d.Ü. (6) der Anti-Terror-Nachrichtendienst der Gendarmerie, der oft in ziviler oder der Kleidung der PKK"ler Einsätze durchführte, über berüchtigte Verhörzentren verfügt und für den größten Teil der politischen Morde im Staatsauftrag bzw. des "Verschwindenlassens" nach Festnahmen verantwortlich gemacht wird. Die Existenz dieser nachrichtendienstlichen Einsatzgruppen wurde immer wieder von den Verantwortlichen geleugnet. - A.d.Ü.(7) des Geheimdienstes MIT - A.d.Ü.
(8) Er war Provinzvorsitzender der prokurdischen HEP und im Vorstand des IHD Diyarbakýr. - A.d.Ü.(9) kurdischer Schriftsteller und Journalist. - A.d.Ü.
(10) Am fehlgeschlagenen Putsch in Aserbaidschan im März 1995. - A.d.Ü. (11) Da Staatspräsident Aliyev von dem Putsch erfahren hatte, nutzte er ihn zur Niederschlagung der Rebellen. - A.d.Ü. (12) Bezeichnung für die Anhänger einer faschistischen Organisation. - A.d.Ü. (13) Zu dieser Zeit leitete der Staatspräsident, der verehrte Kenan EVREN, in seiner Funktion als Vorsitzender den Nationalen Sicherheitsrat und den Generalstab. (14) Im August in Frankreich verhafteter Mafiosi. Im Rahmen von dessen Enthüllungen wurde die Regierung von Ministerpräsident Mesut Yilmaz gestürzt. - A.d.Ü. (15) Weil die Personen und Ereignisse schon im Kapitel "Entwicklungen" festgemacht und vorgestellt worden sind, wurde das Kapitel "Ergebnisse" knapp gehalten und auf einige wichtige Themen beschränkt, um Wiederholungen zu vermeiden.(16) In diesem Satz sind mehrere Wörter am Rand ausgelöscht. A.d.Ü.
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