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06.04.2000

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Organisierte Kriminalität in der Türkei

Am Sonntag den 26. März überfielen Anhänger eines bekannten, zur Zeit im Istanbuler Bayrampasa-Gefängnis einsitzenden Bandenchefs ein Lokal, das als Treffpunkt einer anderen Bande gilt. Der Vorfall ereignete sich im Stadtteil Ahirkapi - nahe am Topkapi-Palast in der historischen Altstadt. Die Angreifer eröffneten von außen das Feuer auf die Gäste des Lokals und hinterließen eine große Zahl von Verletzten.

Nicht zuletzt dieser Überfall hat die seit Jahren immer wieder aufflammende Diskussion über die organisierte Kriminalität in den türkischen Medien neu entfacht.

Es ist spätestens seit dem Autounfall von Sursurluk (auch als Sursurluk-Skandal bekannt) unbestreitbar, daß der Begriff des organisierten Verbrechens angesichts der vielfältigen Verwicklungen zu Staat und Wirtschaft zu unbestimmt erscheint. Bei jenem Autounfall stellte es sich heraus, daß ein hochrangiger Sicherheitsbeamter, ein Parlamentsabgeordneter und ein gesuchter Schwerverbrecher, der dem Bandenwesen zugerechnet wird, zusammen im Auto saßen. Zudem fand sich bei dem gesuchten Verbrecher ein Pass, wie er nur für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes für offizielle Auslandsreise ausgestellt wird (nicht ganz ein Diplomatenpass - aber nahe dran).

Mit der Bezeichnung 'Mafia' versucht die türkische Öffentlichkeit auf diese Verbindungen hinzuweisen - wohl wissend, daß zwischen italienischer, amerikanischer und türkischer 'Mafia' deutliche Unterschiede bestehen. Einer der wichtigsten Unterschiede besteht nicht zuletzt darin, daß das Phänomen in seiner heutigen Gestalt für die Türkei relativ jungen Datums ist. Der in den 80er Jahren im Gefolge des Militärputsches forcierte gesellschaftliche Wandel hat wie in allen anderen Lebensbereichen auch im Bereich der Kriminalität zu drastischen Veränderungen geführt. Neue Personen sind hervorgetreten, die 'Geschäftsbereiche' haben sich verändert und das Beziehungsgeflecht zu Sicherheitsapparat, Politik und Wirtschaft hat sich vervielfältigt. Es ist der Typus der nationlistischen Bande entstanden, die immer wieder vorgibt, nicht nur eigene Ziele zu verfolgen sondern gleichzeitig für den Staat tätig zu sein.

Die Karriere des Dündar Kilic

Dündar Kilic begann 1967 mit einem Cafe im Istanbuler Stadtteil Beyoglu, der sich tagsüber mit dem Ausschank von Tee und Kaffee begnügte, bei einbrechender Dunkelheit jedoch dem Glücksspiel widmete. 1967 wurde Dündar Kilic von mehreren Männern überfallen. Sie eröffneten vor seinem Cafe das Feuer auf ihn. Bei dem darauf folgenden Schußwechsel wurde ein Angreifer getötet, ein anderer verletzt. Kilic wurde schwer verletzt festgenommen und verbrachte lange Zeit in Krankenhaus und Gefängnis.

Nach seiner Entlassung entwickelte sich Kilic zu einem der wichtigsten Vertreter der türkischen Unterwelt. Er beschäftigte sich nun nicht mehr ausschließlich mit Glücksspiel sondern erweiterte seine Aktivitäten auch auf andere Bereiche. Zu einer seiner ersten Aktivitäten nach seiner Gefängnisentlassung gehörte es, ein Kontaktnetz zu Spitzenbeamten der Verwaltung, zu Geheimdienst und Sicherheitsapparat und zur Polizei aufzubauen. Den einen verschaffte er Autos, anderen Waffen, Schutz oder ein gutes Zusatzgehalt.

Gleichzeitig entwickelten sich die bisher losen Transitorganisationen im Rauschgifthandel zu gut organisierten Geschäften, die auch im Waffenhandel einträgliche Geschäfte tätigten. Und der Bedarf an Waffen war durch das Aufkommen der PKK und der Intensivierung des Terrorismus stark gestiegen ...

Der Militärputsch von 1980 veränderte auch die organisierte Kriminalität

Nach dem Putsch nahm der Drogenhandel noch zu. Bis Anfang der 90er Jahre waren Drogen- und Waffenhandel fest in der Hand einer kurdisch dominierten Mafia. Die Schaltstelle war Bulgarien, das einerseits als Zufluchtsort andererseits aber auch als Drehscheibe des Handels fungierte. Hier wurden Rauschgift gegen Waffen getauscht, die in der Türkei wiederum zu Geld gemacht werden konnten.

Eine zentrale Stellung nahm Behcet Cantürk ein, der vielseitige Beziehungen nicht nur zur Politik, Verwaltung und Polizei in der Türkei pflegte, sondern auch Kontakte zur PKK und zu armenischen Terrorgruppen unterhielt. Cantürk finanzierte seine Investitionen in offizielle Wirtschaftsbetriebe mit dem Erlös des Exports von Drogen und dem Import von Waffen.

Die eingeleiteten Wirtschaftsreformen führten auch zu veränderten Bedingungen für die organisierte Kriminalität. War zuvor noch der Schmuggel mit Zigaretten, Alkohol und Luxusgütern ein einträgliches Geschäft, so entfiel dies weitgehend nachdem unter Staatspräsident Özal die Einfuhrpolitik liberalisiert und die Grenzen für ausländische Waren geöffnet wurden. Auch veränderte sich der Waffenhandel - wurde während der 70er Jahre eine große Zahl von Waffen vor allem für die Durchführung des (rechts-dominierten) Straßenterrors gebraucht, tritt dieser in der Nachputschzeit in den Hintergrund. Gleichzeitig entstand durch den aufkommenden Krieg im Südosten der Türkei eine neue Nachfragestruktur.

Zu Beginn der 90er Jahre führte eine Serie von Morden an führenden Personen der Schmugglerringe dazu, daß sich neue Gruppen etablieren konnten. Dabei wurde die 'kurdische Mafia' aus ihrer Vormachtsstellung verdrängt. Das hier auch staatliche Interessen der Türkei eine Rolle gespielt haben und daß insbesondere der türkische Geheimdienst daran beteiligt war, läßt sich kaum leugnen, auch wenn weiterhin das Ausmaß der Zusammenarbeit zwischen aufsteigenden türkischen Kriminellen und staatlichen Stellen weitgehend im Dunkel liegt.

Einen Eindruck von der Verquickung von Politik und Verbrechen ergab sich erstmals durch den Skandal um den damaligen Direktor der Emlak-Bank, Engin Civan. In diesen Skandal waren neben Alaattin Cakici und Dündar Kilic auch bekannte Rechtsanwälte, Leitungspersonen von Banken und sogar Sohn und Tochter des verstorbenen Staatspräsidenten Özal verstrickt.

Bekannt ist jedenfalls, daß der zur Zeit im Istanbuler Bayrampasa-Gefängnis einsitzende Mafia-Boss Cakici Kontakte bis hin zum damaligen Staatspräsidenten und Putschgeneral Evren gehabt hat. Auch hat Cakici immer wieder deutlich gemacht, daß zumindest ein Teil seiner Verbrechen im offiziellen Auftrag erfolgten. Wie die Tageszeitung Cumhuriyet am 3. April meldete, hat der ehemalige Direktor des Antiterrorbüros Mehmet Eymür zugegeben, daß der Attentäter Mehmet Cemal Kulaksizoglu Mitarbeiter des türkischen Geheimdienstes MIT gewesen ist. Kulaksizoglu hatte im Auftrag Cakicis den Mordanschlag auf den damaligen Vorsitzenden des türkischen Menschenrechtsvereins Birdal durchgeführt. Eymür ist nach seiner Pensionierung in die USA ausgewandert und betreibt dort eine Internet-Site, auf der er seine Erinnerungen veröffentlicht...

Ob die jüngsten Waffenfunde im Vorzeigegefängnis Bayrampasa - bei der Bande von Nuri Ergin eine, bei den Leuten von Cakici waren es vier Pistolen - nun Ausdruck der guten Verbindungen zwischen diesen Banden und staatlichen Stellen sind oder nur Ausdruck der desolaten Zustände in türkischen Gefängnissen, muß Spekulation bleiben. Deutlich scheint jedoch, daß selbst die Verhaftung einer Reihe von Mafia-Größen diese weder an der Fortsetzung ihrer 'Geschäfte' hindert noch zur wirklichen Aufhellung des Filzes zwischen Staat, Wirtschaft und Mafia beigetragen hat.

Angesichts einer Schätzung, die im Auftrag des Türkischen Vereins der Manager und Unternehmer (TÜSIAD), vorgenommen wurde, erreichten 1998 die Geschäfte der 'Untergrundwirtschaft' ein Volumen von 12 Prozent der Bruttosozialprodukts.


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